Drei Püppchen, die aus einem Besenstiel und Stoffresten gebastelt worden sind.

Endlich Frieden

Das erste Weihnachtsfest nach dem Krieg

Von Alexandra Albrecht

Der Krieg war verloren, das Land lag in Trümmern. Vor 75 Jahren begingen die Menschen in Deutschland das erste Weihnachtsfest nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. In der Sammlung des Focke-Museums befinden sich einige Objekte, die von diesen denkwürdigen Tagen berichten, zum Beispiel die oben abgebildeten Püppchen, die aus einem Besenstil gefertigt wurden.   

 „Wir haben nun das erste Weihnachtsfest im Frieden verbringen können, es muß aber richtiger Frieden und Nachkriegszeit sein, denn von wirklichem Frieden ist noch in keiner Weise zu reden. (…) Zu Hause war’s doch am allerbesten, und wir sind von Herzen dankbar, diese Stunden wieder miteinander verbracht zu haben, bewahrt vor allzu Bösem“, notierte ein Bremer Familienvater am 31. Dezember 1945 in seinem heute im Focke-Museum archivierten Tagebuch. Immerhin befand sich diese Familie  in der glücklichen Lage, gemeinsam im eigenen Zuhause feiern zu können. Und ihren Söhnen war es vergönnt, mit ihrer alten Eisenbahn und ihrem Kaspertheater zu spielen. 

Bremen war bei Kriegsende zu mehr als 60 Prozent zerstört. Angesichts der Ruinen und Berge von Schutt hätten die britischen Militärs, die Bremen erobert hatten, nicht geblaubt, dass die Stadt an dieser Stelle wieder aufgebaut werden könnte, schrieb Herbert Schwarzwälder in seiner Geschichte der Freien Hansestadt Bremen. Viele Bremerinnen und Bremer hatten ihre Wohnungen und Häuser durch die Bombardierungen verloren. Sie kamen bei Verwandten unter oder wurden bei Fremden einquartiert, andere lebten in Behelfsunterkünften. Noch schlechter erging es den Flüchtlingen, von denen sich etwa 30.000 bei der Fürsorgestelle gemeldet hatten, so Hartmut Müller, der frühere Leiter des Staatsarchivs, in einem Text über die Lebenswelt von Kindern zwischen 1945 bis 1960.

Blick auf den Marktplatz 1945. © Georg Schmidt

Mehr als 100.000 Menschen waren noch nicht aus Evakuierung, Internierung und Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt, manche kamen nie zurück. In vielen Familien fehlten die Väter, die gefallen waren oder sich noch in Gefangenschaft befanden. Wer mochte da feiern? Hans Koschnick, Bremens Bürgermeister von 1967 bis 1985, erinnerte sich später in einem Dossier des „Weser-Kurier“, dass Weihnachten für ihn überschattet war vom Tod des Vaters, der nach Jahren im Konzentrationslager 1944 in Finnland fiel.

Lange habe er dem Fest gegenüber ambivalente Gefühle gehabt.  Auf der einen Seite der Verlust des Vaters, auf der anderen die Mutter, der es gelang, Kleidung und sogar eine Extraportion an Essen für die Familie zu organisieren. Hunger, Not und Elend bestimmten den Alltag, es herrschte Mangel an Kleidung, Nahrungsmitteln und Heizmaterial. Das Ernährungsamt der Freien Hansestadt Bremen warnte mit einem Flugblatt am 20. Dezember 1945 vor dem unerlaubten Doppelbezug von Lebensmittelkarten und verhängte Ordnungsstrafen bei Missbrauch.   

 

 „Glaubten nicht manche unter uns, dass das nächste Weihnachtsfest uns Glockengeläut, Lichterfülle und Gabentafeln bescheren würden? Und nun ringsum Hunger und Kälte, unsägliches Elend heimatloser Flüchtlinge, in zerstörten Kirchen die letzten Glocken verstummt und im Chaos der Ruinen Alte und Junge in ratloser Verstörtheit“, schrieb Anna Klara Fischer am 22. Dezember 1945 im Weser-Kurier.

In der Ausgabe vom Heiligen Abend versuchte der Bremer Schriftsteller Manfred Hausmann, im Glauben Trost zu finden und Sinn zu stiften: „Wenn es erlaubt ist, Irdisches mit Jenseitigem, Vergängliches mit Ewigem, Menschliches mit Göttlichem in eine vergleichende Beziehung zu bringen, dann kann die Armseligkeit und Verlorenheit der Urweihnacht uns Deutschen ein Trost und eine Hoffnung in der Armseligkeit und Verlorenheit unserer Tage sein.“

Bürgermeister Wilhelm Kaisen wandte sich auf der öffentlichen Weihnachtsfeier am 23. Dezember 1945 auf dem Marktplatz direkt an die jungen Menschen, die zahlreich erschienen waren. Die Jugend müsse aus der Vergangenheit lernen und bereit sein, ein Reich der Freiheit, der Duldsamkeit und der sozialen Gerechtigkeit aufzubauen, sagte er. Er dankte den Amerikanern im Namen der Bremer für die großherzige Weihnachtsbescherung der Armen und Waisen. Radio Bremen ging an diesem Tag das erste Mal auf Sendung und berichtete natürlich auch von dem Geschehen vor dem Rathaus.      

Jugendliche, die heimat- und elternlos herumgezogen waren und  schließlich im Lager Halmerweg eine Unterkunft gefunden hatten, erhielten je 250 Gramm Fleisch, 300 Gramm Äpfel und einen Stollen zum Fest. Außerdem richtete man ihnen  eine Feier mit einem warmen Essen aus. In der Halle des Norddeutschen Lloyd, dort, wo einst Hunderttausende auf ihre Überfahrt nach Amerika gewartet hatten, fand eine Feier für Flüchtlinge statt. Senator Wolters sprach in seiner Rede vom „traurigsten Weihnachten unseres Volkes“.   

Wer durch Flucht oder Bombardierung alles verloren hatte, bemühte sich, aus einfachsten Dingen ein Geschenk für die Kinder zu basteln. Wie die drei Holzpuppen, die eine Mutter mit ihrer Freundin aus einem Besenstiel gefertigt und dann mit Haaren aus Hanf und Kleidchen aus Stoffresten verschönert hatte. Jahrzehnte später übergab das einst mit diesen einfachen Puppen so reich beschenkte Mädchen die Figuren an das Focke-Museum.

Im Schaumagazin können die Besucher erleben, wie sich die Menschen in der Not zu helfen wussten: Aus einfachen Blechen wurden Küchenreiben hergestellt, ein perforierter Stahlhelm diente als Sieb, Draht wurde zu Christbaumschmuck gebogen. An den kalten Tagen saßen die Überlebenden an ihren Brennhexen, eine aus der Not geborene Erfindung der Nachkriegszeit, die zum Kochen und Heizen gleichermaßen diente. Produziert wurden diese einfachen Herde von den Firmen Borgward und Focke-Wulf aus Blechen, die ursprünglich für die Rüstungsindustrie vorgesehen waren, aber auch von Schlossereien oder in eigener Bastelarbeit. Fast jeder Haushalt besorgte sich so ein praktisches Gerät, dessen Abzugsrohr meistens direkt durch die Fensterpappe nach draußen geleitet wurde. Brennstoffe waren zu der Zeit Mangelware und in solchen Brennhexen konnte vielerlei Material verbrannt werden, das auf die Schnelle zu beschaffen war: Holz, Torf und Kohle.

Rundes Gefäß aus Metall, das zum Heizen und Kochen genutzt wurde.
Die Brennhexe – ein einfacher Herd zum Kochen und Heizen

Die sogenannten Hexen verkrafteten auch Sägespäne, Dachpappe, mit Schmieröl gemischten Kohlenstaub und sogar Stücke teerdurchtränkter Eisenbahnschwellen. Gerade die Nachkriegswinter 1945/46 und 1946/47 mit Temperaturen bis zu minus 20 Grad waren besonders kalt. Da boten die Brennhexen neben den Kanonenöfen oft den einzigen Lichtblick in den hoffnungslos unterkühlten Räumen.