november 2021
mehr vielfalt wagen
Impulsvortrag von prof. dr. anna greve
Über die Frage, wie Museen sich diverser aufstellen können, hielt die Direktorin des Focke-Museums, Prof. Dr. Anna Greve, den Impulsvortrag in der Zukunftswerkstatt des Deutschen Museumsbundes, Arbeitskreis Migration.
Wollen wir etwas ändern? Haben wir den Mut zum Experiment? Haben wir Lust auf Konflikt? Die meisten von Ihnen werden die erste Frage mit Ja beantworten. Etwas ändern? Gerne! Aber Lust auf Konflikt? Das findet sicherlich weniger Zustimmung. Das ist unser Problem. Mehr Diversität wird es nicht ohne Konflikte geben.
Deshalb gefällt mir der Titel dieser Tagung: „Ungeduld. Auf dem Weg zu mehr Diversität in Kulturinstitutionen“. Wir sind ungeduldig, mit anderen, aber auch mit uns selbst. Was können wir tun? Den Tatsachen ins Auge schauen.
Ein Konflikt tritt dann auf, wenn individuelle Wahrnehmungen, Interessen, Zielsetzungen und Wertevorstellungen aufeinandertreffen – und (zunächst) unvereinbar erscheinen. Diversität meint im Folgenden gesellschaftliche Vielfalt hinsichtlich Kultur, Geschlecht, Alter, körperlicher oder geistiger Beeinträchtigung sowie ausdrücklich auch individuelle Lebensentwürfe im Allgemeinen. Da sind Konflikte programmiert. Sind gegenseitiges Zuhören, Anerkennen, das Aushandeln und Eingehen von Kompromissen der Weg.
1. Erinnerungskultur
Welches lange vergangene Ereignis aus der Geschichte ist für Sie so bedeutend, dass Sie sagen würden, es hat ihr Leben entscheidend geprägt? Vor einigen Jahren saßen wir im Bremer Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte, dem Focke-Museum, zu viert zusammen und kamen auf diese Frage. Lange bevor ich dort Direktorin wurde. Ein weiß positionierter, deutscher Historiker äußerte, dass es der Nationalsozialismus sei. Sein Kollege, ein Medienwissenschaftler, dessen Eltern aus der Türkei eingewandert waren, antwortete, es sei das Anwerbeabkommen Deutschlands mit der Türkei. Eine Schwarz positionierte Kultur-Kooperationspartnerin – ursprünglich aus Kamerun – erklärte, dass es für sie der Biafra-Krieg sei. Meinerseits – als Weiße in Kolumbien aufgewachsen – war ich spontan sicher, dass es für mich der 12. Oktober ist, der Tag der Landung von Christoph Kolumbus in Amerika.
Wir waren eine interessante Menschenmischung! Alle einer Generation angehörend, verband uns eine konkrete Aufgabe. Es war gar nicht die aufgeführte Fragestellung. Heute denke ich, dass wir aus diesem Moment hätten mehr machen können. Wenn wir uns als Landesmuseum mit diverser Erinnerungskultur beschäftigen und Anknüpfungspunkte für vielfältige Besucher:innen in der Gegenwart schaffen wollen, dann benötigen wir Diversität in unserem Team. Studium und Expert:innen-Wissen können nicht dazu führen, dass man authentisch eine andere als die eigene gesellschaftliche Position vertreten kann. Davon bin ich nach 17 Jahren der wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Kritischen Weißseinsforschung überzeugt. Man kann neue Fakten und Empathie lernen, das Zuhören und Moderieren einüben – mehr nicht.
2. Gegenwartsdiskurs
Das Focke-Museum bekam mit Dr. Bora Akşen in der ersten Förderphase des 360°-Programms einen Referenten für gesellschaftliche Vielfalt. Das Projekt „Focke vernetzt!“ sollte neue Veranstaltungsformate entwickeln, um ein diverseres Publikum zu erreichen. Zudem war es Aufgabe, das Thema Migrationsgeschichte ins Landesmuseum zu holen. Aus meiner damaligen Außensicht – ich war in der Bremer Kulturbehörde tätig – gelang dies gut, weil der Referent – abgesehen von seinen fachlichen Kompetenzen – selber aus der Community kam, die er als erstes ansprach. Auf der Basis folgten weitere Kontakte mit anderen Communitys.
Das Museumsteam war für neue Ideen offen. Die direkte Anbindung des Referenten an die Museumsleitung sowie seine Ausstattung mit einem selbstverwalteten Budget schufen Akzeptanz und Freiräume, die ein normaler Kurator nicht gehabt hätte. Die Tatsache, dass durch diese Aktivitäten ein Abwärtstrend der Besuchszahlen gestoppt werden konnte, trug wesentlich zur positiven Wahrnehmung des Prozesses im kulturpolitischen Umfeld bei.
Als die Leitung des Focke-Museums vakant wurde, reizte mich diese Entwicklung des Hauses. Ich sah die Chance, als nicht in Deutschland aufgewachsene, aber deutsch aussehende Person an dieser Neuausrichtung mitzuwirken, hin zu mehr Diversität für alle Bremer:innen. Meinem ebenfalls neuen Vorstandskollegen Nima Pirooznia ist es ähnlich ergangen. D.h., indirekt hat der 360°-Referent dazu beigetragen, dass das Bremer Landesmuseum nun von zwei Menschen mit Migrationserfahrung geführt wird.
3. Dimensionen von Diversität
Als ich im Museumsgarten eine Tabakpresse aus Kolumbien sah, überkam mich ein Heimatgefühl! So soll es künftig vielen Besucher:innen gehen: Sie sollen Verknüpfungen zwischen ihrer Biografie und der Bremer Landesgeschichte herstellen können. Mehr Diversität in Programm und Publikum zu verwirklichen, ist durch das 360°-Programm bei uns gelungen. Eine Grundsensibilität hinsichtlich kultureller Differenzen ist im Team gegeben. Damit ist der Boden bereitet, ein in die Zukunft wachsender Baum aber noch lange nicht gepflanzt. Um einen wirklichen Transformationsprozess hinzubekommen, sind noch viele Schritte nötig, die ich im Folgenden skizziere.
3.1 Verstetigung der Programmvielfalt
So sehr ich das 360°-Programm als Impuls begrüße, halte ich eine Verstetigung der Stellen von Diversitätsagent:innen für nicht erstrebenswert. Die gewonnenen Erkenntnisse müssen strukturell in der ganzen Breite der Einrichtungen verankert werden. So sehen wir im Focke-Museum die durch den Referenten aufgebauten neuen Kontakte und Programme nicht mehr als Zusatz an, sondern als Teil des Kerns. Alle Kurator:innen und Vermittler:innen im Haus nutzen und denken sie bei ihrer Arbeit mit.
3.2 Ressourcen umwidmen
Gesamtgesellschaftlich ist der Slogan „Grenzen des Wachstums“ in aller Munde. Das sollte m.E. auch für den Kulturbereich gelten. Im Focke-Museum haben wir beschlossen, eine frei gewordene Kurator:innen-Stelle „Kunstgewerbe“ in „Medien und Stadtlabor“ umzuwidmen. Das Aufgabenfeld Kunstgewerbe haben wir unter uns übrigen Wissenschaftler:innen aufgeteilt. Bewusst nehmen wir in Kauf, dass es in den nächsten Jahren nur rudimentär bearbeitet wird. Wir brachten den Mut zur Schwerpunktsetzung bzw. Lücke auf, weil uns Medien und Stadtlabor in unserem Neuaufstellungsprozess dringlicher erscheinen. Dass sich unser 360°-Referent erfolgreich auf diese neue Kurator:innen-Stelle bewarb ist schön, war dabei aber nicht das vordringliche Ziel. Der Schritt gelang, weil wir zunächst in der Stadtgesellschaft für die Idee Stadtlabor begeistert haben und dann den Stiftungsrat überzeugen konnten, dass dies der fachlich richtige Weg ist. Ein kulturpolitisches Umfeld, das Neues zulässt und unterstützt, ist von besonderer Bedeutung und in Bremen glücklicherweise gegeben.
3.3 Diversitätsquote einführen
Die nächsten Schritte werden vermutlich die strukturelle Verankerung von Diversitätsquoten für Berufsgruppen sein, verpflichtende Sensibilisierungsschulungen für alle neuen Mitarbeiter:innen, die Einrichtung einer Beschwerdestelle und ein kontinuierliches Coaching, für das immer vielfältiger und damit auch Konflikt-reicher werdende Team.
Im Land Bremen gibt es eine Quote von 36 Prozent von Menschen mit Migrationshintergrund. Vor Besetzung der jetzigen 360°-Stelle fielen innerhalb des Focke-Teams acht Prozent der Mitarbeiter:innen in diese Kategorie. Ausschließlich in den Berufsgruppen Reinigung und Aufsicht. Im Verlauf der letzten drei Jahre ist es gelungen, dies auf insgesamt 20 Prozent zu erhöhen. Wobei es im Vorstand – wenn man mich dazu rechnet – 100 Prozent und in der Wissenschaft 50 Prozent sind. Mein Ziel ist es nicht, uns hier selber auf die Schulter zu klopfen. Es war und ist anstrengend. Es bleibt viel zu tun. In den Bereichen Verwaltung, Öffentlichkeitsarbeit und Restaurierung liegt die Quote aktuell bei 0.
In meinem ersten Jahr als Direktorin habe ich bei zahlreichen Besetzungsverfahren erlebt, wie stark die Tendenz ist, jemanden auszusuchen, der einem selber ähnlich ist. Entsprechend muss die institutionelle Machtposition als Leitung zum Ausgleich genutzt werden. Es gilt sich zu fragen, was für Menschen gebraucht werden, um die Vielfalt im Team zu erhöhen. Also beispielsweise potentielle PoC-Bewerber:innen – also People of Color – direkt ansprechen, nach ihnen in den Bewerbungsstapeln suchen, für ihre Perspektiven und Qualitäten jenseits der explizit gefragten Fachqualität argumentieren, Ideen für Weiterqualifizierung von einer Berufsgruppe in die andere entwickeln. Nach Ablauf der Verlängerung des 360°-Programms im April 2024 wollen wir die 36 Prozent als Spiegel der Gesellschaft erreicht haben. Unser Haus soll ein anderes sein als zuvor. Aufgabe des/der neuen Refernt:in wird es sein, gemeinsam mit dem Vorstand und in Abstimmung mit dem Personalrat für die hier skizzierten Ideen ein System zu entwickeln, das vom Kollektiv getragen wird.
3.4 Ressourcen nutzen
Im Focke-Museum werden zwölf Sprachen gesprochen: Arabisch, Deutsch, Englisch, Französisch, Gebärdensprache, Ghanesisch, Griechisch, Niederländisch, Polnisch, Russisch, Spanisch, Türkisch. Das ist ein bisher ungenutztes Potential, das wollen wir ändern. Im Corona-Lockdown hatten wir als öffentlich-rechtliche Stiftung die Möglichkeit, Kolleg:innen aus dem Reinigungs- und Aufsichten-Team nicht in die Kurzarbeit zu schicken. Wir konnten sie mit anderen Aufgaben betrauen. Sie entwickelten neue Ideen für unser Haus. Man muss definitiv nicht Wissenschaftler:in sein, um das zu können. Wir werden Aufgabenfelder und Gehaltsgruppen grundlegend überprüfen müssen. Unser Hausmeister-Team hat ein Musikforum ins Leben gerufen. Eine Aufsicht hat die Ansiedelung von Bienen auf unserem Gelände begleitet. Weitere Projekte sind in der Pipeline. Diversität leben, muss gar nicht unbedingt unterschiedliche Herkunft bedeuten. Sie ist aber eine bewährte Brücke zum Leben von gesellschaftlicher Vielfalt insgesamt. Nicht jedem gefällt diese Entwicklung im Focke-Museum. Das sei nicht verschwiegen. Es ist unruhiger, unsicherer geworden. Es sprechen mehr Menschen mit. Die Position als Direktorin muss ich nutzen, um manches durchzusetzen.
4. Ausblick
Ihnen möchte ich Mut machen: Voraussetzung für mehr Diversität ist schlicht ein wirklicher Änderungswille, Mut, neue Freiräume zu schaffen, Schwerpunkte zu setzen und Konflikte auszuhalten. Gelder können umgewidmet werden. Deshalb sind Finanzen in diesem Feld für mich kein Argument. Museen gelten als schwere Tanker, die sich nur langsam umsteuern lassen. Die Corona-Zeit lehrt uns, dass vieles schneller möglich ist, als wir je dachten. Design Thinking – in dessen Geist ich selber arbeite – kann uns dabei helfen: Die Menschen ins Zentrum stellen, Multiperspektivität einüben und sich selbst immer als lernend definieren. Kaum jemand verlässt freiwillig die eigene Komfortzone. Verlustängste kommen auf, wenn Positionen hinterfragt werden, das Teilen von Macht kann Führende und Geführte gleichermaßen verunsichern. Es gilt, all dies mit Wertschätzung und Gelassenheit produktiv in Energie und Gestaltung des kollektiven Lernprozesses umzuwandeln.
Sie können sich den Vortrag auch als Video anschauen: