Vortrag über die Entifizierung der Kunst

What The Duck
Über die ENtifizierung der Kunst
Anlässlich der Ausstellung „Duckomenta – MomEnte der Kulturgeschichte“ hat der Bremer Professor Dr. Rainer Stollmann am 13. Februar 2025 den Vortrag „What the Duck! Entenhausen ist überall“ im Focke-Museum gehalten. Wir geben ihn hier in einer gekürzten Fassung wieder. Die Ausstellung wird bis zum 25. Mai verlängert.
Tiere sind auf unterschiedliche Weise menschlich. Man sagt: Dumme Kuh, dumme Gans, dummes Schaf, aber nicht dummer Pinguin oder gar dummer Fuchs. Quak, quak, schnatter. Es gibt eklige Tiere wie Spinnen, Würmer, Raupen Schnecken und niedliche Tiere wie Meerschweinchen, Eichhörnchen und manche Vögel. Hunde galten im Mittelalter ihres langen Gesichtes wegen als Tiere der Schwermut, der Melancholie, der moderne Mops mit seinem gequetschten Gesicht, den Loriot so liebte, bricht daraus aus. Schnatter, schnatter, quak, qauk. Katzen gelten als eigensinnig und selbständig. All das ist nicht unumstrittten, es gibt inzwischen die niedliche kleine Raupe Nimmersatt und die lustige Schafsherde im Fernsehen mit ihrem Anführer „Shaun, das Schaf“, der so listig und intelligent ist wie früher nur der Fuchs es war. In der jüdischen Überlieferung gibt es mutige Hasen, im Gegensatz zu unseren Angsthasen.

Die Ente gehört zweifellos von Natur aus zur Gattung der Spaßvögel. Sie hat mehrere komische Eigenschaften. Während andere Vögel wie die Amseln und die Nachtigallen die allerschönsten Arien singen, ist die Ente nur mit Quaken und Schnattern zu hören. Schnatter, quak. Die meisten Vögel haben einen spitzen Schnabel, mit dem sie gut Nahrung aufpicken und zerkleinern können, die Ente hat einen breiten Schnabel, der von Natur aus schon ans Lachen erinnert. Schauen Sie sich hier in der Ausstellung daraufhin die Mona Lisa Duck an. In Leonardos Original ist das Lächeln der Mona Lisa schon deshalb ein Rätsel, weil unsicher ist, ob diese einseitige Mundwinkelverziehung überhaupt ein Lächeln darstellt oder nicht vielleicht eine Unebenheit des Gesichtes. Tatsächlich haben Kunsthistoriker überlegt, ob die Mona Lisa nicht vielleicht eher eine Art seitlicher Hasenscharte hat und in Wahrheit gar nicht lächelt. Nun, wenn Sie sich die Mona Duck anschauen, dann ist diese Frage wenigstens ein für allemal geklärt. Flamingos und Störche haben einen adligen, vornehmen Gang, sie schreiten, die Ente watschelt. Sie wackelt unablässig mit ihrem Hinterteil, das „Bürzel“ genannt wird – auch ein komischer Name. Ganz ungeniert zeigen alle Enten ihre Bürzel beim Tauchen.
Die halbe hintere Ente beim Tauchgang sieht aus wie das Bild gewordene, bekannte Zitat des Götz von Berlichingen. Die Ente kann auf diese Weise mit der Spottdrossel konkurrieren. Der Bürzel ist auf den Bildern dieser Ausstellung in vielfacher Weise Thema. Eine Bachelor-Arbeit mit dem Titel „Der Bürzel in der bildenden Kunst“ hätte hier genug Material. Auch dass die Ente als „hässlich“ gilt – das hässliche Entlein sei genannt, aber auch das heute schon antiquierte französische Auto, der 2 CV galt als hässliche Ente -, schadet ihrer Lustigkeit nicht. Man lacht, sagt Aristoteles, nicht über etwas Schönes, sondern über etwas „unschädlich Hässliches“. Und dass Enten schädlich wären, kann man nicht behaupten. Sie ist ein bäuerlich-plebejischer Vogel, massenhaft verbreitet, nicht menschenscheu, eine Art Sancho Panza im Vogelreich. – Und: sie schmeckt lecker. Es ist also kein Zufall, dass die Ausstellung, die das Focke-Museum zurzeit zeigt, „Duckomenta“ heißt. Wir befinden und hier nicht in einer Ausstellung, sondern in der Parodie oder Travestie einer Ausstellung. Die Nofretete, Einstein, van Gogh, Warhol, Caspar David Friedrich, Bismarck, Friedrich der Große, Marilyn Monroe, Che Guevara usw. bekommen Schnäbel, Entenfüße, Bürzel und Hände mit vier Fingern verpasst.
Die Hochkultur, Ikonen der Weltöffentlichkeit, alles, was erhaben, berühmt, einmalig, auratisch, weltbekannt ist, wird auf das Niveau von Entenhausen gebracht, d.h. familiarisiert, in die Entenfamilie aufgenommen. Vom Erhabenen zum Lächerlichen, sagte Napoleon, ist es nur ein kleiner Schritt, hier: ein Schnabel, ein Bürzel, ein Entenfuß. Parodie heißt „Gegenlied“. Das ist, wenn Jimi Hendrix zu Zeiten des Vietnam-Kriegs auf seiner Gitarre die amerikanische Nationalhymne so verzerrt spielt, dass man die Bomben fallen hört. Das ist, wenn Otto Waalkes als Pastor, Lehrer, Journalist auftritt. Die heute-show ist die Parodie einer Nachrichtensendung. Vergessen wir auch nicht, dass in den Triumphzügen der römischen Kaiser es die eigenen Soldaten, also die Treuesten der Treuen waren, die ihre Herren parodierten. Gleich hinter dem Triumphator einhergehend, sangen sie, während alle anderen „Heil Caesar“ riefen, die freizügigsten Spottlieder auf ihren Herrn. Warum? Damit der Imperator nicht übermütig, eitel, überheblich werden sollte. Wissen Sie, welches Kosewort Ludwig XIV. für seine Lieblingstochter verwendete: Putzlumpen. Natürlich hätte kein anderer die Prinzessin so anreden dürfen.

Die Disney-Cooperation, die in diesem Jahr 102 Jahre alt wird, besteht aus riesigen Vergnügungsparks in Weltstädten, dem größten Filmkonzern der Welt und aus Verlagen. Sie beschäftigt über 200.000 Mitarbeiter, hat einen Jahresumsatz von knapp 80 Mrd. $ und machte 2020 über 10 Mrd. $ Gewinn. Die Disney-Cooperation ist zur Hälfte ein Freizeit-Verwalter eines Massenpublikums und zu einem Drittel eine riesige Verdummungsmaschine, vor allem im Film- und Fernsehgeschäft. Es gibt von Disney Fernsehserien für Kinder, die praktisch nur aus Reklame für’s bloße Konsumieren bestehen. Es ist, als ob das Kapital heute höhnisch den 68er-Begriff des Konsumterrors in Bilder verwandeln würde. Von Adorno wird gesagt, er habe Walt Disney als den „gefährlichsten Mann“ der USA bezeichnet. Kann auf diesem hochkapitalistischen, machtvollen Bewusstsein-Verwaltungs-Gutshof ein „Gegenlied“ gegen die offizielle Kultur oder Öffentlichkeit entstehen? Wenn doch in dieser Industrie nichts anderes als das kommerzielle, offizielle „Lied“ gesungen wird?
Die Welt ist leider so widersprüchlich. Was Disney heute ist, war er nicht vor der Mitte des 20. Jahrhunderts. Etwas ähnliches wie die Spottlieder im Triumphzug der römischen Diktatoren ist doch im Hinblick auf den Kapitalismus die Erfindung von Dagobert Duck, der 1947 zum ersten Mal in Erscheinung trat. Er wird seither von der Wirklichkeit in Gestalt von Mark Zuckerberg, Jeff Bezos, Bill Gates und vor allem von Elon Musk realisiert. Die Ducks, auch Micky Maus und ganz Entenhausen sind vielleicht nicht Subkultur im Sinne von subversiv, aber doch voll von Protest gegen die offizielle Kultur, eine Art utopisch-komisches Gegenlied. (Wobei ich sagen muss, dass zu meiner Kinderzeit, also in den 50er-Jahren in bürgerlichen Elternhäusern Donald Duck als minderwertiger Schund galt und nicht ohne weiteres gelesen werden durfte. Tarzan, Sigurd, Akim usw. waren noch schlimmer, aber im deutschen Bildungsbürgertum waren die Vorbehalte gegen amerikanische Comics durchaus vorhanden. Das war damals das, was heute die sozialen Medien auf den Handys sind.) Meine Damen und Herren, liebe Enten, Donald Duck und das Leben in Entenhausen sind Kinderlektüre. Stendhal hat Schönheit definiert als „Promesse du bonheur“, Versprechen des Glücks, und Adorno hat das auf die Kunst als Ganze bezogen: Kunst sei ein Versprechen des Glücks. Man darf vermuten, dass Adorno bei dem Wort Kunst vor allem an die Musik dachte. Ich bin sicher nicht der einzige, der, wenn er sich fragt, wann ihm Kunst als promesse du bonheur passiert sei, zunächst an die Kinderzeit denkt. Wenn Hadschi Halef Omar ben Hadschi abul Abbas Ibn Haschi Dawuhd als Gosserah mit Kara Ben Nemsi durchs wilde Kurdistan ritt und über das letzte Abenteuer komische Gespäche führte, bei denen man lachen musste, dann war das nicht nur ein Versprechen des Glücks, sondern reines Leseglück. Für Minuten war etwas Utopisches Wirklichkeit geworden. Man kann diese Momente als Erwachsener nicht wiederholen, man besitzt die Naivität der Kindheit nicht mehr. Heute würde Karl May unter Kolonialismus-Verdacht geraten, wenn er noch in ähnlichem Umfang gelesen würde wie zu meiner Kinderzeit. Ich vermute stark, dass ein solches Kindheits-Motiv auch initiativ für diese Ausstellung ist. Wieso kann ich, so könnte doch ein Professor der Kunstgeschichte fragen, wenn Kunst doch Glücksversprechen ist, die intensiven Glücksmomente, die ich als kindlicher Besucher oder Bewohner von Entenhausen erlebt habe, in der großen Kunst, die ich über alles verehre, trotz Adorno nicht so recht wiederfinden?

Vielleicht gelingt das ja, wenn ich den großen Kunstwerken der Weltgeschichte einen Schnabel verpasse. So dass wir die Ausstellung begreifen können als Sysiphos-Arbeit von Erwachsenen auf der Suche nach dem kindlichen Glück mithilfe der Kunst und des Comic. (Die Duckomenta wurde von Professor Eckart Bauer an der Kunsthochschule in Braunschweig ins Leben gerufen. Bauer hatte 5000 Devotionalien, Gimmicks, Kitsch, Spielzeug aus dem Universum Entenhausen gesammelt, das er schon seit seiner Kinderzeit liebte.)
Lassen Sie uns noch einen zweiten Einwand ins Auge fassen: Leidet eine solche Ausstellung mit lauter Entenschnäbeln, Entenfüßen und Bürzeln, so geschickt und raffiniert die Künstler damit im einzelnen auch umgegangen sein mögen, (die Duplizierung der Originale ist bei den meisten Bildern bemerkenswert gut gelungen) nicht doch zwangsläufig unter einer gewissen Monotonie? Von der Mona Lisa gibt es bestimmt 150 Parodien (Mona Mao, Mona Marilyn, Mona Putzfrau, Mona Dali usw., usw.), aber immer nur die Verwandlung von jedem Bild der Hochkultur oder Weltöffentlichkeit in Enten? Ist dieses „Gegenlied“ nicht ein bisschen eintönig?
Das kann man denken oder empfinden, besonders, wenn man die Ausstellung mehrmals anschaut. Allerdings: wenn die Künstlervereinigung, die hinter der Duckomenta steht, überhaupt wahrgenommen werden will, dann muss sie zusammen bleiben. Als einzelne Bilder hätten die hier gezeigten Exponate nirgendwo eine Chance ausgestellt zu werden. Und nur in der Masse erscheinen die Bilder möglicherweise als monoton. Das ist das eine, hinzu kommt noch ein zweites, das mit Komik, Parodie, Humor, Witz, also mit dem Lachen zu tun hat. Loriot hat einmal auf die Frage, ob er die Deutschen wirklich für humorlos halte, gesagt: Die Deutschen lachen genauso gern wie alle anderen. Aber sie brauchen ein Signal dazu. Das heißt: Lachen und Ernst, Hochkultur und Tiefkultur sind in der deutschen Tradition besonders stark getrennt (übrigens erst seit dem 16. Jahrhundert, vorher Till Eulenspiegel: damals Weltliteratur). Goethe und Shakespeare: Shakespeare ist lustiger: Für die Totengräber-Szene im Hamlet finden Sie in der deutschen Hochkultur kein Beispiel. Das „Streiflicht“ der Süddeutschen Zeitung auf der ersten Seite, von vielen Zeitungen unerreicht nachgeahmt, ist eine ganz große Ausnahme, von der Regel, dass Humor auf die letzte Seite gehört, wo „Vermischtes“ und „Neues aus aller Welt“ steht.
Wenn Sie längere Zeit eine gute satirische Zeitschrift lesen (Pardon, Titanic), dann empfinden Sie diese Trennung als ärgerlich oder schmerzlich. Die Artikel sind teilweise ausgezeichnet, aber sie gehörten ins Feuilleton der FAZ, gleich, ganz im Sinne des Gegenliedes, sofort hinter die ernsten Artikel zum selben Thema. Wir brauchen, was das Lachen betrifft, mehr Mittelalter, d.h. Narrenfreiheit. Stellen Sie sich einmal vor, die Tagesschau gäbe eine Minute ab an wechselnde Komiker mit der Aufgabe, die gerade eben gesendeten Nachrichten zu kommentieren. Loriot und Otto hätten das blendend gekonnt. DAS wäre ein Gewinn an Erkenntnis und vielleicht auch an Freiheit. Solange Lied und Gegenlied auf verschiedenen Plätzen zu verschiedenen Zeiten gesungen werden, stellt sich zwangsläufig eine gewisse Monotonie her. Ich will damit sagen: das ist nicht nur ein Problem der Entenschnäbel, sondern der Trennung von Ernst und Komik überhaupt. (Übrigens: Da muss man die Kuratoren vom Focke-Museum einmal ausdrücklich loben: Barcode, da können Sie die Originale teilweise sehen. Das ist also schon ein Versuch, zusammen zu bringen, was zusammengehört, aber normalerweise getrennt ist.)
Lassen Sie uns in einem letzten Abschnitt dieses Vortrags ein einziges Bild herausgreifen und daran genauer untersuchen, was die parodierende Entifizierung wirklich bedeuten könnte, und zwar an dem berühmtesten Bild der Welt, der Mona Lisa. Um in aller Kürze deutlich zu machen, was dieses Bild ist, wie es funktioniert und was es heute, nach 500 Jahren, uns noch sagen kann, möchte ich es mit einem fast ebenso bekannten Kunstwerke seiner Zeit, das aber ganz anders konzipiert ist, vergleichen.
Es gibt keinen schärferen Gegensatz zweier zu gleicher Zeit entstandenen Kunstwerke als den zwischen Michelangelos David (1504) und Leonardos Mona Lisa (1506). Michelangelo meißelt das Männlichkeitsideal in Stein, Leonardo malt die Frau als Ideologie (= falsches Bewusstsein) des Mannes. Die Darstellung wahrer Schönheit konkurriert mit der ihres falschen Bewusstseins. Im Kopf dieses Davids sitzt das Frauenbild, das Leonardo malt. Die Skulptur ist hochidealistisch, das Bild materialistisch, weil ihm die Kenntnis der Irrtümer wichtiger ist als „die Idee der Wahrheit“. Michelangelo zeigt den nackten Uomo novo, Leonardo das ungebrochen im Uomo novo fortlebende falsche Bewusstsein des Uomo vecchio. David ist ein Vetter des Odysseus, seine Schleuder auf der Schulter das Zeichen instrumenteller Vernunft, der List gegenüber roher Gewalt des Riesen Goliath. Von seinem in die Ferne gerichteten gleichgültig-heroischen Blick zehren später die Skulpturen des Faschismus. Ganz anders der Blick der Mona Lisa. Ihre Augen verfolgen den Betrachter wie eine Jägerin ihre Beute – man wird das „notwendig falsche Bewusstsein“ eben nicht leicht los. Leonardo ist ohne jeden Zweifel ein Großmeister der Schönheit. Trotzdem ist sein berühmtestes Bild – und wer weiß, vielleicht auch die anderen – auf hintergründige Weise grotesk.

Der Hintergrund des Bildes, die Landschaft ist augenscheinlich grotesk. Eine solche Eismeer-Alpen-Zivilisationslandschaft gibt es nirgendwo auf der Welt. Sie ist vollkommen menschenleer, aber versehen mit Brücke, Straße, möglicherweise kanalisiertem Fluss und Hafen. Ragen dort oben winzige Schiffsmasten empor, ist da ein Hafen oder führt der Weg ins Nichts? Die groteske Natur der Landschaft verweist auf die ebenso groteske, zivilisatorisch-barbarische Mixtur der weiblichen Natur im Vordergrund. Der ruhige See und der mäandernde Fluss spiegeln sich in Lisas Frisur wider. Es ist ein Irrtum, dass Mona Lisa selbst schön sei. Sie ist ein Modepüppchen. Ihr kostbares Kleid, die lockere Frisur, die ausgezupften Augenbrauen und Stirnhaare, der kaum sichtbare Schleier, sogar das einseitige Lächeln – alles gemalt nach der florentinischen Mode um 1500. Verglichen mit den Madonnen von Raffael und Michelangelo oder von Leonardo selbst hat sie ein Mondgesicht, dessen Ausdruckslosigkeit in Richtung Smiley geht. Das Bild ist mitnichten ein Porträt. Die Abstraktheit des Gesichtes machte es den Kunsthistorikern möglich, etwa ein Dutzend reale Vorbilder darin zu sehen, von einer Medici-Geliebten über die Mäzenatinnen Isabella d’Este und Catarina Sforza bis hin zu Leonardos Mutter, Leonardo selbst und seinem jungen Geliebten, den er Mon Salai („mein Teufel“) zu nennen pflegte, ein Anagramm zu Mona Lisa. Sie ist auch für damalige Verhältnisse ein bisschen zu dick, hat fette Hände, eine davon spreizt sie zu einem obszönen Zeichen, (von der Mona Duck sehr betont) mit dem Huren in Florenz Freier auf der Straße anlockten. Gleichzeitig thront sie über der menschenleeren Landschaft wie ein Himmelswesen. Man weiß nicht, wie alt sie ist, sie könnte 17, aber auch 40 Jahre alt sein. Hure, Mutter, Engel, Jungfrau, Modepüppchen, männlicher Geliebter, Leonardo selbst – was ist dieses Wesen? Bestimmt kein autonomes Individuum, sondern Mixtur männlicher Wünsche (auch Ängste) nach der unberührten, erfahrenen, mütterlichen, mondänen Frau bzw. nach dem jungen Geliebten, kurz: der heiligen Hure. Ein sehr alter Topos, wenn man an die Tempelprostitution oder an Maria Magdalena im Neuen Testament denkt). Kunsthistoriker haben auch versucht, sie als Darstellung des uomo universale zu interpretieren. Das Gegenteil ist wahr. Michelangelos David und viele andere Kunstwerke der Renaissance mögen gestaltete Ausrufezeichen sein: „Seht her, so wie ich sieht der neue, universale Mensch aus!“ Die Mona Lisa nicht. Sie antwortet immer nur: Solange du mich schön findest, bist du kein neuer Mensch. Mona Lisa ist ein gemaltes Fragezeichen.

Das macht die Aktualität dieses Bildes auch noch nach 500 Jahren aus. Wären wir emanzipiert, so würden wir das Bild durchschauen und darüber lachen. Die Genialität Leonardos besteht darin, dass er ungeheure geistige und technische Kräfte aufwendet, um das Lachen vor dem Bild zu produzieren. Der männliche uomo vecchio, der ja in der Realität für die monsterhaften Züge der Weiblichkeit verantwortlich ist, soll vor Lachen platzen (wie der verhexte Klotzkopf der Brüder Grimm), wenn er diese groteske Gestalt, sein phantastisches Geschöpf, lange genug anblickt.
Kunst um 1500 stellt sich die Aufgabe, ihrem Publikum die Angst davor zu nehmen, ein uomo universale, ein neuer Menschzu werden. Das gelingt ihr nicht durch Vorbilder wie den David, der in der autoritären Rezeptionshaltung, die er verlangt, die mittelalterliche Tradition fortsetzt. Jedes christliche Kunstwerk in der Kirche ruft: „Folge mir nach!“ Und alle repräsentative Fürstenkunst stellt den Herrscher und seine Familie als Vorbild dar. (Der erste, der davon abweicht, ist Goya im 19. Jahrhundert.)
Die Utopie des neuen Menschen darzustellen ist autoritär. Die Form widerspricht dann ihrem eigenen emanzipativen Inhalt. Da fällt mir ein: Dieser David mit Entenschnabel fehlt noch in dieser Sammlung, ich weiß nicht, ob es ihn schon gibt.
Das Rätsel der Mona Lisa besteht darin, dass ein weibliches Lustobjekt so dargestellt wird, und zwar mit den Mitteln der Unbestimmtheit und des Widerspruchs (Alterslosigkeit: die Gioconda kann 16, aber auch 40 Jahre alt sein, das Heilige, der den Zuschauer verfolgende Blick der Jägerin, die obszöne Geste der Hände, der groteske Hintergrund, teuerste Kleidung, aber Schmucklosigkeit usw.), dass jeder Versuch, diese schöne Frau voyeuristisch als Lustobjekt zu genießen, zum Scheitern verurteilt ist. Und weil sich seit der Renaissance nicht viel geändert hat, dh. Bilder von Frauen heute wie damals zu 99 Prozent eine voyeuristische Perspektive einnehmen, ist Leonardo immer noch aktuell. Das Bild stellt keineswegs, wie manche annehmen, den uomo universale in weiblicher Gestalt dar, sondern es ist eine Ikone der Frau, der der Blick des uomo vecchio nicht standhalten kann. Man muss zum neuen Menschen werden, wenn man das Bild betrachtet, und der Widerstand gegen diese Metamorphose führt zu der anhaltenden Aktualität des Bildes.
Was bedeutet es dann, wenn ich diesem Bild einen Entenschnabel verpasse? Was passiert, wenn sich die Mona Lisa plötzlich vor den Museumsbesuchern in die Mona Duck verwandelt. Stellen Sie sich vor, wie die zwei oder drei Menschen, die hier vergeblich nach dem Rätsel der Mona Lisa suchen und es lösen wollen, etwas erschrocken zurückzucken und dann möglicherweise anfangen zu lachen. Genau aus diesem Grunde ist die Mona Duck gemalt. In diesem Lachen, von dem die Lachenden nicht angeben könnten, warum es geschieht, zerbröckelt ein wenig von der Schale des alten Menschen, oder, Sie können auch sagen: der Schale des Konformismus, mit der die Geschichte seit einem halben Jahrtausend nach und nach der großen Kunst ihre Sprengkraft raubt. Der Entenschnabel ist dafür das unsinnige Zeichen. Denn das Publikum kann drei Stunden auf die Mona Lisa starren, man wird dann eine Reihe von den Widersprüchen und Fragezeichen bemerken, die ich beschrieben habe. Aber die Geschichte des Konformismus, die seit 500 Jahren auf dem Bild lastet, kann man nicht sehen, die steckt im Publikum selbst. So komisch oder lustig einem die Entenschnäbel auf den großen Bildern der Welt vorkommen, sie enthalten auch ein Moment der Trauer über die Grenzen des Sichtbaren, man kann Geschichte und Wirklichkeit nicht sehen, ähnlich der Trauer über die Vergeblichkeit, das Kinderglück wieder herzustellen.
Ein wesentliches Moment des Konformismus ist der Kunstmarkt. Von einem, der es wissen muss, stammt das Urteil: „Der Kunstmarkt ist der verdorbenste Markt von allen.“ Damit ist gemeint, dass der Kunstmarkt sich nicht im Geringsten für Kunst interessiert, sondern nur für Geld. Wer ein berühmtes Bild in London bei Sotheby‘s ersteigert und in seiner Bank im Safe versteckt, hat in der Regel kein Interesse an dem konkreten Bild, das er da ersteigert, sondern einzig und allein an der relativ sicheren Anlagemöglichkeit und Wertsteigerung, die ein solcher Gegenstand verspricht. Dieses Desinteresse des Kunstmarktes an der Kunst, so könnte man sagen, lässt sich sinnlich wahrnehmbar ausdrücken, indem man allen großen Kunstwerken das gleiche Entengesicht verpasst. Man kann also die Duckomenta verstehen weniger als Parodie der Kunst und öffentlichen Ikonographie, aber noch mehr als Parodie des Kunstmarktes, zu dessen Existenz ja die großen Ausstellungen wie die documenta beitragen. Je öfter ein Kunstgegenstand auf Ausstellungen zu sehen ist, um so mehr steigt sein Preis. Was ich hier versucht habe am Beispiel des Bildes von Leonardo zu beschreiben, das gilt vice versa auch etwa für Che Guevara mit Entenschnabel. Die Parodie lässt sich mit Recht auf die damalige religiöse Verehrung der linken Bewegung in der Welt für diesen Revolutionär beziehen als auch auf das Vergessen und Verdrängen, das den Verlierern historischer Kämpfe immer wieder zuteil wird. Obwohl es gerade das ist, was sie mit dem Pechvogel Donald Duck verbindet.