Ein Haufen verfärbter Münzen

Der Schatzfund von Bokel

Wer Vergrub Hier seine Reichtümer?

Von Dr. Alfred Löhr

Zu den „Schätzen“, die man im Focke-Museum entdecken kann, gehört ein Bestand von Exponaten, der auch im strengen wissenschaftlichen Sprachgebrauch als „Schatzfund“ bezeichnet werden darf. Warum und von wem solche Vermögenswerte einst vergraben wurden, darüber weiß man in der Regel nur in seltenen Fällen. Denn nur derjenige, der vor Jahrhunderten ein Depot von Münzen oder anderen Edelmetallobjekten  an vermeintlich sicherer Stelle vergrub, wusste davon und wenn er durch Tod oder Flucht nicht mehr an seinen Besitz kam, verschwand auch die Erinnerung daran.

So verhält es sich auch mit dem Schatzfund von Bokel, der im Schaumagazin des Focke-Museums beim Buchstaben „B“ – wie Bewahren, ausgestellt ist. Und doch gibt es Indizien, die es erlauben, den Fund in mehr oder weniger glaubwürdige Zusammenhänge einzuordnen.

Doch beginnen wir, nein, nicht ganz von vorne, aber doch vor fast hundert Jahren, als im Oktober 1928 auf dem Acker von Bauer Borchers in Bokel bei Bevern eine Rübenmiete ausgehoben wurde und man dabei in einem halben Meter Tiefe auf zwei Tongefäße stieß, die randvoll mit über 14.000 Münzen und etwa 40 Schmuckstücken gefüllt waren. Es war einer der größten Schatzfunde, die jemals in Niedersachsen gemacht wurden. Bei den Münzen handelt es sich durchweg um Pfennige. Das Geldsystem des Mittelalters kannte ja bis zum hohen Mittelalter allein diesen einen Wert. Zunächst hatte man diese Silbermünzen beidseitig geprägt, aber im Laufe der Zeit wurden sie immer minderwertiger und leichter hergestellt, bis im 12. Jahrhundert nur noch auf einer Seite des dünnen Blechs das Münzbild aufgedrückt werden konnte. Auf der Rückseite des Abschlags erscheint dann die Negativform. Solche Hohlpfennige oder Brakteaten waren vor allem in Niedersachsen verbreitet und machen daher auch die Masse des Bokeler Schatzes aus.

Goldene Scheibe aus dem Goldschatz von Bokel. (c) Focke-Museum

Zerbrechlich wie Brakteaten sind auch die drei  Scheiben aus dünnem Goldblech. Eine ist mit einer Heftnadel zum Befestigen auf der Bekleidung versehen und auch die andere diente sicher zur Zierde einer Brosche oder Gewandschließe. Ferner gehören zum Fund 15 Fingerringe und, nicht unwichtig für die Deutung des Fundes, einige Amulette.

Ernst Grohne, dem verdienstvollen Direktor des Focke-Museums jener Jahre, gelang es in geschickten Verhandlungen mit der hannoverschen Provinzialverwaltung, den größten Teil der Schmuckstücke und eine kleine Menge der Brakteaten für unser Museum zu sichern. Der Rest, neben den Münzen eine Alsengemme und ein augenförmiges Amulett, wohl eine Votivgabe, sowie  ein goldener Kreuzanhänger wurde dem Kestner-Museum in Hannover zugesprochen. Ein Vierteljahrhundert später erwarb Grohne von der Witwe des Landarbeiters, der seinerzeit den Fund entdeckt und ausgegraben hatte, weitere, bis dahin zurückgehaltene Teile. Zu ihnen gehört das bemerkenswerteste Einzelstück des Fundkomplexes, ein Fingerring mit einer kleinen, aus der Spätantike stammenden Gemme aus schwarzblauem Chalzedon, auf der zwei eingravierte Figuren zu erkennen sind.

Solchen Halbedelsteinen, vor allem an Fingerringen, schrieb man im Mittelalter abwehrende Kräfte gegen Krankheiten und Dämonen zu. Den Glauben an magische Wirkungen vermochten eingeschnittene Bilder sicher noch zu steigern. Auch die Inschrift auf dem Reif, „TEBAL GUT GUTTANI“, ist eine uralte Zauberformel, von der man sich heilende Wirkung erhoffte.

Soweit können wir die Geschichte sicher verfolgen.

Doch möchte man ja den Zeitpunkt der Vergrabung wissen, etwas über den ursprünglichen Besitzer und den Anlass der vermeintlichen Vermögenssicherung erfahren.

Oft lassen sich Münzen zeitlich gut bestimmen, wenn sie den Lebensdaten der ausgebenden Münzherren zugeordnet werden können. Das jüngste Geldstück eines Fundes („Schlussmünze“) gibt einen Hinweis darauf, wann es frühestens verborgen wurde; doch die Einordnungen  sind in unserem Fall nicht allzu genau. Die Entstehung der Münzen insgesamt wurde von  Ortwin Meier, dem ersten und einzigen Bearbeiter des numismatischen Gesamtkomplexes, auf „etwa 1195 bis 1225“ angesetzt, er schloss aus der Datierung mehrerer Schlussmünzen „um 1220“ allerdings nicht explizit auf ein Datum der Vergrabung des Schatzes, das erst Ernst Grohne mit „um 1225, spätestens 1230“ angab.

Fingerring mit einer Gemme, in die zwei Figuren eingeritzt wurden. (c) Focke-Museum

Zwei Theorien versuchen die Herkunft des Schatzes zu erklären. Beide spielen vor dem Hintergrund der Auseinandersetzungen zwischen dem Bremer Erzbischof Gerhard I. und seinem welfischen Gegenspieler Pfalzgraf Heinrich, dem ältesten Sohn Heinrichs des Löwen, um die Vorherrschaft in der Grafschaft Stade.

Die erste Deutung vermutet, es habe sich um die etwa 1225 vergrabene „Kriegskasse der Söhne Heinrichs des Löwen“ gehandelt.  Denn der Hort enthält in der Tat auffallend viele Lüneburger Löwenpfennige, also welfische Prägungen. Was allerdings die Amulette und Schmuckstücke in einem „Kriegsschatz“ bedeuten, wird von dieser Interpretation nicht beantwortet.

Eine andere Erklärung verbindet nun den Schatz mit einer spannenden Geschichte, die in  verschiedenen mittelalterlichen Chroniken überliefert ist: Sie berichten von einem gewissen Otbert, einem Bauern, der sich am Anfang des 13. Jahrhunderts auf seinem Hof in Bokel, also unmittelbar bei der Fundstelle des Schatzes, als Wundertäter hervortat und ungeheuren Gewinn daraus zog. Mit dem Wasser einer nahegelegenen Quelle, dem „Sültenborn“ also einem Solebrunnen, heilte er viele Kranke und wurde von zahlreichen Heilsuchenden, die auf seinen Hof pilgerten, wie ein Heiliger verehrt. Nach dem Bericht der Sachsenchronik pflegte er dabei nur mit einem schlichten Rock bekleidet auf einem mit Rosen bestreuten Thron zu sitzen, selbsterfundene Segensworte zu sprechen und die Gesänge der Heilsuchenden mit Tönen aus einem Horn zu begleiten. 

Wunderheiler Otbert auf seinem mit Rosen geschmückten Thron. Die Darstellung stammt aus der Sachsenchronik von 1492.

Otbert stand unter dem Schutz des Burgvogts Heinrich von Ochtenhausen in Bremervörde und hatte seine Einkünfte sicher mit der Herrschaft zu teilen. Die Burg war seit einigen Jahren aus dem Besitz des Bremer Erzbischofs in die Gewalt der Welfen geraten. 1218 nun gelang es den Kriegsknechten des Erzbischofs Gerhard I. durch eine List, diesen Stützpunkt zurückzugewinnen: Sie gaben sich als Pilger auf der Suche nach Otberts heilkräftigem Bade aus und kamen so auf die Burg, überwältigten die Besatzung und übernahmen die Herrschaft. Der Wunderheiler sah sich seines Schutzherrn beraubt und zur Flucht gezwungen, denn vom Erzbischof hatte er eine Duldung seiner Wundertätigkeit sicher nicht zu erwarten. Später soll er in Riga gestorben sein.  Soweit die Überlieferung.

Verständlicherweise ist in den Chroniken von einem Schatz nicht die Rede.  Aber der Einklang von Fundort und Otberts Wirkungsstätte, von Münzdatierung und Fluchtzeitpunkt, von magischen Schmuckzeichen und Wunderheilung machen es doch wahrscheinlich, dass wir hier einen Teil des Vermögens des einst berühmten Wunderheilers vor uns haben, den Otbert auf der Flucht zurücklassen musste und auf seinem Grund und Boden vergraben hatte.

Quellen und ausführliche Literaturangaben findet man in den vom Blog-Autor (mit-)bearbeiteten Wikipedia-Artikeln „Schatzfund von Bokel“ und „Otbert (Wunderheiler)“.