Auf der 100-Milliarden-Mark-Banknote ist der Roland zu sehen.

Inflation 1923

GEldnot und Notgeld in Bremen

Von Dr. Alfred Löhr

Seit kurzem geistert wieder ein Schreckgespenst durch die publizistische und politische Diskussion und bezieht sich auf ein tief im kollektiven Gedächtnis der Deutschen verankertes Trauma: die Inflation. Die Situation vor genau 100 Jahren, auf die diese Erinnerung verweist, hatte allerdings eine unvergleichlich dramatischere Dimension. Die Folgelasten des Ersten Weltkriegs hatten die Finanzkräfte des Deutschen Reichs und der Länder erschöpft, ihre Verschuldung stieg und mit ihr ein beschleunigtes Tempo beim Druck von Banknoten. Im Herbst 1922, als das Deutsche Reich weitere Kredite aufnahm, um Kriegsentschädigungen und Sozialleistungen bezahlen zu können, beschleunigte sich die bis dahin schon nicht geringe Entwertung der Papiermark und der Geldvermögen.   

Weil durch den nominellen Anstieg der Geldmenge nicht ausreichend Reichsbanknoten zur Verfügung standen, druckten tausende Gemeinden überall in Deutschland eigene Zahlungsmittel. War es auch in Bremen zunächst nur nötig, den knappen Münzumlauf durch Papierkleingeld zu ergänzen, so gab wenig später, Anfang 1923, die Bremer Finanzdeputation bereits 1000-Mark-Scheine aus. Bis zum Herbst sollte dann schon in Milliarden, zum Schluss in Billionen gerechnet werden. Die Halbwertzeit der Scheine verkürzte sich immer schneller. 

Zwei farbige Banknoten mit maritimen Motiven wie einem Seemann und Lagerhäusern schmücken die 50-Pfennig-Noten der Stadt Vegesack aus dem Jahr 1921. Sie sind Teil der Sammlung des Focke-Museums.
50-Pfennig-Noten der Stadt Vegesack, ausgegeben am 13. Mai 1921; aus der Sammlung des Focke-Museums.

Nicht nur die Finanzdeputation ließ Papiergeld drucken, auch Kreditinstitute, Unternehmen und Veranstalter nahmen mit Bankanweisungen und Gutscheinen am Geldverkehr teil. So gab etwa der radikal antisemitische „Deutsch-völkische Schutz- und Trutzbund“ notgeldartige Gutscheine zu einem am 27. November 1921 in Bremen abgehaltenen „Deutschen Tag“ aus (siehe Abbildungen unten). In diffamierenden Umschriften und gehässigen Darstellungen weisen ihre Urheber die Schuld an der damaligen deutschen Finanzmisere einer angeblich jüdischen „Schieber-Wirtschaft“ zu. Dieses wirkmächtige, aber aller historischen Wahrheit widersprechende Geschichtsbild sollte in der Folgezeit unheilvoll und nachhaltig haften bleiben.

Notgeld mit einem Schandesel, dem Roland und dem Rathaus: Die umlaufende Schrift lautet: Die jetzige Schieber-Wirtschaft gehört auf den Schandesel. Die Vorderseite zeigt fünf Männer mit Hakennasen, einem Stereotyp für Juden. Darunter steht: Die Weisen von Zion. Die Finanzmisere sollte den Juden zugeschrieben werden.

Den logistischen Aufwand angesichts des kurzfristigen Wertverfalls zwischen Druck und Auszahlung des Papiergelds verdeutlicht ein vor wenigen Jahren dem Focke-Museum geschenkter Neuzugang. Der Banknotentransportkarren mit verschließbarem Kastenaufbau aus eisernen Lochblechen, sozusagen ein Vorläufer heutiger Sicherheitsdienst-Lieferwagen, vermittelt eine sinnliche Vorstellung von den Mengen an Geldbündeln, die regelmäßig zwischen Druckereien, Banken, Lohnbüros und Geschäften, manchmal in regelrechten Kolonnen, durch die Stadt bewegt werden mussten.

Die unausweichliche Währungsreform hatte Bremen im Oktober 1923 in beschränktem Umfang vorweggenommen, indem es den „Bremer Dollar“ kreierte. Anders als das eigentliche „Notgeld“ mit den vielen Nullen war diese Währung durch Devisen gedeckt, die durch den Bremer Außenhandel hereinflossen, und trug so zur Stabilität der Bremer Wirtschaft bei. Erst mit Einführung der Rentenmark im November 1923, die durch Grund- und Sachwerte gedeckt war und jeweils gegen 1 Billion Papiermark verrechnet wurde, stabilisierte sich das Geldsystem der Republik und führte 1924 zur Reichsmark.

Eiserner Banknotentransportkarren, um 1920. Er ist im Schaumagazin des Focke-Museums ausgestellt.

Doch bis es soweit war, erforderte das Anwachsen der Geldmenge in schwindelnde Höhen eine Unmenge an gedruckten Banknoten. Papiergeld wurde seit jeher aus Gründen der Repräsentation, aber auch um es fälschungssicherer zu machen, in reicher ornamentaler Aufmachung und künstlerischer Gestaltung produziert. Solange die Hektik der Geldausgabe nur langsam anstieg, konnte man diesen Ansprüchen gerecht werden. Das galt auch für die Notgeldherstellung. Doch mangelte es hier eher an der Qualität des Papiers und einer entwickelten Offsetdrucktechnik als an der ästhetischen Phantasie der entwerfenden Graphiker.

Von Dezember 1917 („50 Pfennig“) bis November 1923 („100 Milliarden“) gab die Stadt Bremen etwa ein Dutzend verschieden gestalteter „Gutscheine“ aus, die dann neben der Reichswährung in Umlauf gingen. Ihre beschränkte Gültigkeitsdauer und der rapide Wertverfall führten dazu, dass sich das hübsche, aber schnell wertlos gewordene Papier in Brieftaschen und Küchenschubladen ansammelte.

Die Vielfalt und der graphische Reiz vieler bunter Scheine regte schon die Zeitgenossen dazu an, Sammlungen von diesem Notgeld anzulegen. Viele, auch kleinste Gemeinden nutzten das aus, indem sie ganze Serien druckten, die weitgehend auf einen Sammlermarkt zielten und, weil die meisten dieser dekorativen Papierchen spät oder gar nicht eingelöst wurden, den kommunalen Kassen zwischen 1919 und Mitte 1922 nennenswerte Gewinne erlaubten. Oft waren es bilderbogenartig illustrierte Scheine, deren Darstellungen mit der sozialen Realität einer Bevölkerung, die um ihr Erspartes gebracht worden war, wenig zu tun hatten. Verglichen damit sind die stadtbremischen Papiernoten eher seriös und zurückhaltend gestaltet und verzichten auf erzählerische Ikonographie. Dennoch wurden auch von ihnen auffällig viele entweder als persönliche Erinnerung an die „schlechte Zeit“ aufgehoben oder als Teil umfangreicher Notgeldsammlungen verwahrt, zusammengetragen, sortiert, katalogisiert, getauscht oder gehandelt. Und nicht nur einmal fand eine kleine oder größere Kollektion aus Privatbesitz, wie zuletzt im Februar dieses Jahres, ihren Weg als willkommenes Geschenk ins Focke-Museum.

1923 werden durch eine Straße in Halle an der Saale mehrere Geldtransporter gezogen. Sie sind mit Tüchern verdeckt. 
(C) Deutsches Historisches Museum
Unter den Tüchern verbergen sich die Banknotentransportkarren. Die Aufnahme entstand 1923 in Halle an der Saale. Foto: Deutsches Historisches Museum