Februar 2021

Richard Fritze – Profiteur der Sklavenwirtschaft

Von Asmut Brückmann

Man schrieb das Jahr 1877. Richard Fritze hatte es geschafft. Als einfacher Kaufmannslehrling war er nach Bremen gekommen, jetzt, mit 53 Jahren, führte er mit seinem Partner Hermann Skröder Gerdes ein eigenes Handelshaus und verkehrte in den besten Kreisen der Stadt. Er war Mitgründer, Teilhaber und Vorstandsmitglied bei der AG „Weser“ und saß im Verwaltungsrat des von Hermann Henrich Meier und Eduard Crüsemann 1857 gegründeten „Norddeutschen Lloyd“. Beides zukunftsträchtige und aussichtsreiche Engagements.

Doch Fritze war mit dem Erreichten noch nicht zufrieden. Seine Firma Fritze & Gerdes war auf Expansionskurs. Bisher war sie mit vier Frachtseglern im Überseehandel recht erfolgreich, nun sollte die Flotte verdoppelt werden. Drei neue Vollschiffe und eine Dreimastbark sollten dazukommen, eine gewaltige Investition. Der Bauauftrag ging an die jüngst von 18 Bremer Kaufleuten an der Stephanikirchenweide gegründete Eisenschiffwerft AG „Weser“. Für Fritze als Mitgründer der Werft eine Win-win-Situation. Das Geld floss gleichsam von einer Westentasche in die andere. Die rahgetakelten Vollschiffe wurden auf die Namen „Wilhelmine“, „Hermann“ und „Kaiser Wilhelm“ getauft. Für die mit Rahsegeln vorne und Schratsegeln achtern getakelte Dreimastbark hatte sich Fritze etwas Besonderes ausgedacht. Sie sollte nach dem Gründer und Kanzler des Deutschen Reichs „Fürst Bismarck“ heißen. Wenn nun Otto von Bismarck nach Bremen käme und als Namenspatron die Schiffstaufe persönlich vornehmen würde, so hoffte Fritze, könnte sich die Reederei im Ruhm des Kanzlers sonnen und gewaltig an Prestige gewinnen. Also schickte er am 14. Mai 1877 einen Brief nach Berlin mit der Anfrage, ob Bismarck mit der Namensnennung einverstanden sei und zur Schiffstaufe nach Bremen kommen könne.

Brief von Otto von Bismarck an Richard Fritze, 20. Mai 1877 © Focke-Museum

Die Antwort an „Herrn Richard Fritze Wohlgeboren Bremen“ wird im Focke-Museum aufbewahrt:

„Berlin den 20. Mai 1877

Euer Wohlgeboren freundliches Schreiben vom 14ten cr [currentis = des laufenden Monats], habe ich mit verbindlichstem Dank erhalten. Es wird mir eine große Ehre sein, wenn Sie dem bei Ihnen im Bau befindlichen Schiffe meinen Namen geben wollen um so mehr, wenn dasselbe vorzugsweise aus deutschem Eisen gebaut wird. Ihrer gütigen Einladung, die Taufe des Schiffes selbst zu vollziehen, werde ich zu meinem Bedauern wegen des Zustandes meiner Gesundheit nicht Folge leisten können. vBismarck“

Also Namensnennung ja, Schiffstaufe nein. Es ist die Frage, ob Fritze wirklich ernsthaft damit gerechnet hatte, dass Bismarck sich auf die Reise an die Weser machen würde. Der Kanzler weilte nämlich wie jedes Jahr im Frühsommer in Bad Kissingen zur Kur und lenkte von dort aus die Regierungsgeschäfte. Den Antwortbrief hat vermutlich Bismarcks Sohn und Sekretär Herbert geschrieben. Die Ortsangabe Berlin verweist auf den offiziellen Regierungssitz. Bismarck hat dann nur noch seine Unterschrift daruntergesetzt. Das erklärt auch die verschiedenen Handschriften.

Richard Fritzes Start in Bremen

Richard Fritze (1823-1883) war kein alteingesessener Bremer. Er stammte aus dem Braunschweigischen. Nach Bremen war er gekommen, um dort eine gründliche kaufmännische Ausbildung zu erhalten. Die Stadt war für junge Kaufleute aufgrund ihrer internationalen Handelsbeziehungen ein interessantes Pflaster. Zudem lebte dort sein Onkel Carl Wilhelm August Fritze (1781-1850). Dieser hatte bereits 1809 das Bremer Bürgerrecht erworben, als Überseekaufmann und Reeder Karriere gemacht und war sogar zum Sprecher der Kaufleute und zum Senator gewählt worden. Sein jüngerer Bruder Carl Wilhelm (1791-1842) war als Teilhaber dazu gestoßen. In diesem erfolgreichen Handelshaus erwarb Richard Fritze sein kaufmännisches Rüstzeug. Anscheinend hat er sich geschickt angestellt. Nach vier Jahren, 1843, schickte ihn sein Onkel zur weiteren Ausbildung auf die spanische Kolonie Kuba. Dort besaß die befreundete Bremer Firma Böving & Overbeck in Trinidad de Cuba an der Südküste eine Niederlassung, über die Fritze seine Geschäfte abwickelte. In diesem Zentrum der Zuckerindustrie sollte sich Richard Fritze gründlich in den Überseehandel und das Zuckergeschäft einarbeiten.

Arbeit auf einer Zuckerrohrplantage, dargestellt aus der Sicht eines Weißen. William Clark schuf den Stich 1823. Quelle: Wikimedia commons, gemeinfrei

Fritze auf Kuba und die Sklavenwirtschaft

Bremer Kaufleute beteiligten sich seit Anfang des 18. Jahrhunderts am lukrativen Überseehandel. Insofern waren Richard Fritzes Aktivitäten nicht ungewöhnlich. Der Historiker Horst Rössler hat seine Karriere auf Kuba in einem Aufsatz im Bremischen Jahrbuch (2016) genauer untersucht. Demnach hat sich der junge Mann im Kontor um das Zuckergeschäft gekümmert. Die Büroarbeit ließ ihm genug Zeit, durchs Land zu reisen und die Zuckerrohrplantagen vor Ort zu besichtigen. Dort leisteten noch immer versklavte Menschen vor allem bei Pflanzung und Ernte die Hauptarbeit. Als menschliche Fracht waren sie meist im nahe Trinidad gelegenen Hafen von Casilda aus Afrika ins Land gebracht und auf einem Markt verkauft worden. Bei der Weiterverarbeitung des Zuckerrohrs kamen neben Windmühlen auch Dampfmaschinen zum Einsatz. Nach und nach verschaffte Fritze sich so einen Überblick über die geschäftlichen Möglichkeiten der Plantagenwirtschaft. Als Böving nach dem Tod seines Partners nach Bremen zurückkehrte, ergriff Fritze die Gelegenheit beim Schopf. Er übernahm die Firma und gründete zusammen mit seinem Onkel sowie seinem Cousin Alexander als Partnern das Handelshaus „R. Fritze & Co.“. Der Bremer Senat ernannte ihn zum bremischen Konsul in Trinidad. Im Jahr 1855 erwarb die junge Firma eine eigene Sklavenplantage mit Zuckermühle, Siedeanlagen, Lagerhäusern und Hütten für die aus Afrika gegen ihren Willen importierten Menschen. Ihr Name „Buena Vista“ (Schöne Aussicht) muss ein Hohn für die dort schuftenden Personen gewesen sein. 

Sklavenarbeit bildete damals immer noch das Fundament der Plantagenwirtschaft. Zwar hatte Großbritannien 1807 den Handel mit versklavten Menschen verboten. Spanien und weitere Länder waren gefolgt. Auch der Bremer Senat hatte die schändliche Praxis 1837 unter Strafe gestellt. Doch der Besitz von verkauften und verschleppten Menschen blieb vorerst erlaubt. Und weil die mörderischen Arbeitsbedingungen viele Opfer forderten, versorgten auch weiterhin illegale Schiffe aus Afrika die Plantagen mit „Nachschub“. Dass seine ihrer Freiheit beraubten Plantagenarbeiter zu seinem persönlichen Eigentum bzw. zum Firmenkapital zählten, bereitete Fritze wenig Skrupel, wie die von Rössler ausgewerteten Unterlagen zeigen. Er beschloss sogar, für den Betrieb seiner Plantage weitere zu kaufen. Der Briefverkehr mit seinem Partner Alexander Fritze zeigt, dass diese aus Afrika geschmuggelten unglücklichen Menschen für ihn nur in geschäftlicher Hinsicht eine Rolle spielen, z. B. als finanzielle Investition oder als Kostenfaktor in der Bilanz. Das tragische Schicksal der Menschen scheint ihm nicht sehr nahe gegangen zu sein. Dabei war er sich durchaus darüber im Klaren, dass viele der auf Kuba verkauften Männer, Frauen und Kinder den Strapazen auf den Zuckerrohrfeldern nicht gewachsen waren. Fritze dachte jedoch nur an die Folgen für seine Firma: Er versicherte sein Unternehmen gegen mögliche Menschenverluste durch Krankheit oder Tod. Menschliches Leid – ein Versicherungsschaden!

Um seinen Bedarf zu decken, kaufte Fritze 1856 für seine Plantage weitere 190 versklavte Arbeitskräfte. Ein Schmuggelschiff hatte die Unglücklichen heimlich an Land gebracht, wo sie in einem Pferch versteckt auf ihren neuen Besitzer warteten. Dort holte sie Fritze persönlich ab. Zu seinem Bedauern waren viele krank – vermutlich eine Folge der skandalösen Bedingungen auf den Schiffen, wo die verstörten und entwurzelten Menschen wochenlang eng zusammengedrängt unter Seekrankheit und fürchterlichen sanitären Verhältnissen gelitten hatten.

Obwohl die zeitgenössische Kritik an der Wirtschaft mit versklavten Menschen  immer lauter wurde und auch Fritze bekannt war, bereitete ihm das kaum moralische Probleme. Er fühlte sich als guter Christ und hatte ein reines Gewissen. Mögliche Vorwürfe konterte er mit dem Hinweis, von einem Verbot des Menschenhandels sei in der Bibel keine Rede. Im Gegenteil – er tue seinen Leuten sogar etwas Gutes, weil es ihnen auf seiner Plantage besser gehe als in Afrika. Die bei ihm zwangsweise beschäftigten Männer und Frauen hätten dieses fragwürdige Argument vermutlich schnell als Schutzbehauptung entlarvt – wenn man sie denn gefragt hätte.  

Philipp Richard Fritze (1823-1883), um 1860-65
© Staatsarchiv Bremen, Foto: J. E. Feilner

Fritze profitierte also vom Handel mit diesen Menschen, auch wenn er sich nicht direkt daran beteiligte. Doch trotz gut laufender Geschäfte verkaufte Fritze die Plantage wieder. 1858 kehrte er nach 15 Jahren Kuba den Rücken und ließ sich in Bremen nieder. Zu diesem Entschluss hatte vermutlich ein familiärer Schicksalsschlag beigetragen. Bei einem Besuch in Bremen hatte er 1853 die 19-jährige Johanna Dorothea Duckwitz geheiratet, Tochter des bekannten Kaufmanns und liberalen Senators Arnold Duckwitz (1802-1881). Bereits im folgenden Jahr musste Fritze auf Kuba seine junge Frau und seinen gerade geborenen Sohn zu Grabe tragen.

Mit Schwiegervater Duckwitz blieb er in Kontakt. Der hatte übrigens wie viele Bremer Kaufleute an der Sklavenarbeit nichts auszusetzen. Ihre Geschäfte und ihre Gewinne hingen ja – und das muss ihnen klar gewesen sein – eng mit dem Import von meist mit Sklavenarbeit produzierten Kolonialwaren zusammen. Ein direktes Engagement vor Ort blieb jedoch die Ausnahme. Auch Fritzes „Buena Vista“ blieb ja nur eine kurze Episode.

Nach Bremen kehrte Fritze vermutlich mit einem finanziellen Polster zurück. Er gründete die Firma Fritze & Gerdes und stieg ins vertraute Überseegeschäft ein. In zweiter Ehe heiratete er 1859 die 18-jährige Kaufmannstochter Johanne Boyes. Die beiden bekamen eine Tochter und bezogen ein repräsentatives Haus an der Bleicherstraße. Mit Anfang 40 war Fritze nun ein erfolgreicher Geschäftsmann und gehörte zur Bremer Kaufmannselite. Duckwitz und Fritze verkehrten in den gleichen Kreisen und blieben in Kontakt. Über die Familie Duckwitz ist auch der Bismarck-Brief ins Focke-Museum gekommen. Ein jetzt in Neumünster lebender Ururenkel von Arnold Duckwitz hat ihn im Haus seiner Eltern in der Großgörschenstraße entdeckt und dem Museum übergeben.

Die Bark „Fürst Bismarck“

Wie ging es mit der „Fürst Bismarck“ weiter? Bei der AG „Weser“ hatte man noch wenig Erfahrung mit Stapelläufen dieser Größe. Zudem waren die lokalen Bedingungen schwierig, wie die Weser-Zeitung anlässlich eines früheren Stapellaufs erläuterte: „Da die Weser bei dem Etablissement der Gesellschaft einen Stapellauf in der Richtung des Kiels nicht gestattete, mußte derselbe […] seitwärts erfolgen, was bekanntlich immer mit einiger Gefahr verknüpft ist, da gar zu leicht Vorder- oder Hintertheil des Schiffes die Bewegung versagt und der Stapellauf mißglückt.“

Auf dem Foto ist das Modell eines Segelschiffes zu sehen.
Die Bark „Fürst Bismarck“ © Focke-Museum/Martin Luther

Doch Auftraggeber und Bauwerft hatten Glück: Im August 1877 lief der Dreimaster auch ohne Bismarcks Anwesenheit erfolgreich vom Stapel. Die vom Chefingenieur der Werft Friedrich Ludwig Middendorf konstruierte „Fürst Bismarck“ bewährte sich als Schnellsegler. Gleich bei ihrer Jungfernfahrt 1878 stellte sie für die Strecke vom Kanal bis Hinterindien mit 86 Tagen einen Geschwindigkeitsrekord auf. Sie befuhr alle Weltmeere zwischen Europa, Asien und Südamerika. Nach Fritzes Tod (1883) und der Auflösung seines Handelshauses übernahm die Bremer Firma Schröder & Gaertner das Schiff, 1893 dann die Reederei Diedrich Haye in Brake. 1912 kam es in schwedische Hände und erhielt den Namen „Bellville“. Im Dezember 1917 schickte schließlich ein deutsches U-Boot die ehemalige „Fürst Bismarck“ mit einem Torpedotreffer vor der irischen Südküste auf den Meeresgrund, 40 Jahre nach ihrer Indienststellung.