Vor 100 Jahren erfolgte die Fusion zweier Museen zum Focke-Museum
Erinnerung an Seinen direktor Ernst Grohne
Von Alexandra Albrecht
Vor 100 Jahren, 1924, übernahm der Kulturhistoriker Dr. Ernst Grohne die Leitung des Gewerbemuseums und des Historischen Museums Bremens, das seit wenigen Jahren zu Ehren seines Gründers Focke-Museum hieß, und vollendete noch im selben Jahr die Fusion beider Häuser. Das Gewerbemuseum verfügte über eine Modell- und Mustersammlung, die Handwerkern zur Ausbildung und Schulung diente, zum Historischen Museum gehörte eine Sammlung historischer Altertümer aus Bremen, die unter anderem aus der Kollektion Johann Fockes stammten. Damit und mit der späteren Aufnahme archäologischer Sammlungsbestände legte Grohne das Fundament für das Bremer Landesmuseum, wie wir es heute kennen. Zu den größten Verdiensten Grohnes zählt die Rettung der Museumsbestände während des Zweiten Weltkriegs, die er rechtzeitig auslagerte und somit vor den Bombenangriffen schützte.
Ernst Grohne kam 1888 in Hessen zur Welt, von 1907 bis 1913 studierte er in Tübingen und Göttingen Geschichte, Geografie und Sprachwissenschaften. Am Museum für Hamburgische Geschichte arbeitete er von 1919 bis 1924, noch im selben Jahr folgte der Wechsel nach Bremen, wo es galt, aus zwei Museen eines zu machen.
Wie alles begann
1880 hatte der Bremer Senatssyndikus Dr. jur. Johann Focke begonnen, in seiner Wohnung Objekte zur Kulturgeschichte seiner Heimatstadt zu sammeln. Dank seiner Initiative eröffnete die Stadt 1900 im Katharinenkloster das Historische Museum. Das Konzept des eifrigen Sammlers sah vor, dass die Objekte einen Bremen-Bezug haben müssen.
„Das Historische Museum strebt an, Bremen nicht in Prunkstücken und, wie es hätte sein können, vorzuführen, sondern wie es wirklich war und wie es geworden ist“, notierte er ein bis heute gültiges Ideal. Arm und reich, oben und unten – die ganze Stadtgesellschaft galt und gilt es zu beleuchten.1915 erfolge dann der Umzug des Museums in die Großenstraße im Stephanieviertel, in ein im holländisch-niederdeutschen Spätbarock errichtetes Gebäude, das zuvor als Altenheim genutzt worden war.
Hier fügte Grohne ab 1924 also das Historische Museum mit dem Kunstgewerbemuseum zusammen, das sich bis dato von einer Modell- und Mustersammlung für die Kunstgewerbeschule zu einem Museum entwickelt hatte. Es besaß eine Sammlung mit Beispielen aus allen Bereichen des Kunsthandwerks mit Schwerpunkt auf den Bremer Raum. Nach einer dreijährigen Schließzeit eröffnete das Focke-Museum 1927 mit einer neuen Dauerausstellung: Grohne war es gelungen, die Sammlungen der historischen, kultur- und kunsthistorischen Objekte sinnvoll miteinander zu verbinden und so Stadt- und Stilgeschichte erfahrbar zu machen, ein Ansinnen, das das Focke-Museum bis heute verfolgt.
Weil Grohne die Ausstellungen fotografisch dokumentieren ließ, wissen wir noch heute, wie die Räume damals ausgesehen haben. So ist auf einer Fotografie das Wilckens’sche Porträtkabinett zu sehen, das auch in der künftigen, 2026 eröffnenden Sammlungsausstellung seinen Platz haben wird.
Grohne, der über keinerlei archäologische Ausbildung und Erfahrung verfügte, begann, sich mit Bodenfunden aus Bremen und Niedersachsen zu beschäftigen. 1932 erließ der Senat ein Denkmal- und Naturschutzgesetz. Noch kurz vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde Grohne am 24. Februar 1933 zum ersten amtlichen Denkmalpfleger für das bremische Staatsgebiet ernannt. Sandra Geringer und Dirk Mahsarski haben zu Grohnes Ausgrabungen und seiner Rolle im Nationalsozialismus für die Ausstellung „Graben für Germanien. Archäologie unter dem Hakenkreuz“, die 2013 im Focke-Museum zu sehen war, geforscht und ihre Erkenntnisse in einem Kapitel des begleitenden Katalogs niedergeschrieben.
Zwischen 1931 und 1945 führte Grohne viele Ausgrabungen im Bereich der bremischen Flussmarschen durch. Seine wichtigste Ausgrabung war das völkerwanderungszeitliche Gräberfeld auf der Mahndorfer Düne, wo die Bevölkerung schon vorher Urnen gefunden hatte. Denn in diesem Bereich, der damals noch zu Niedersachsen gehörte, wurden während des Nationalsozialismus große Mengen Sand, zum Beispiel für den Bau der Autobahn 1, abgebaut. Auf dem Gräberfeld hätten die Chauken und Sachsen vor 2000 Jahren begonnen, ihre Toten zu verbrennen und zu bestatten, so Grohne in einem Zeitungsartikel. Auch Pferdeopfer und kultische Handlungen seien dort vorgenommen worden. Eine Vielzahl an Urnen, Leichenschüttungen, Körpergräbern und 20 Pferdebestattungen sicherte Grohne hier mit den Männern des Reichsarbeitsdienstes.
Ohne das „Jahrtausende alte rassisch saubere und reingermanische Volkstum“ wäre die Marschenkultivierung nicht denkbar, schrieb Grohne, der seit 1937 der NSDAP angehörte, im Jargon des Nationalsozialismus. Wenn die jüngere Forschungsliteratur Grohne auch eine völkische Gesinnung bescheinigt, so habe er die Grabungsergebnisse trotzdem betont sachlich dargestellt, urteilen Geringer/Mahsarski. Anders als mancher Archäologe wertete er in seinen Schriften andere Völker nicht herab. Ursprünglich gingen die archäologischen Funde aus Bremen und der Region an das Städtische Museum für Natur-, Völker- und Handelskunde, dem Vorgänger des heutigen Übersee-Museums. Weil dort eine rassenkundliche Abteilung eingerichtet werden sollte, gab es Überlegungen, die Archäologie an das Focke-Museum anzugliedern. 1937 wurde dort in zwei Kellerräumen die erste archäologische Dauerausstellung eröffnet, die neben Objekten des Übersee-Museums auch ein großformatiges Modell eines Großsteingrabes enthielt.
Schon zwei Jahre später schloss Ernst Grohne das Museum nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Umsichtig ließ er die Exponate an dreißig verschiedenen Orten außerhalb der Stadt auslagern. Dadurch konnten mehr als 90 Prozent der Museumsbestände gerettet werden. Gar nicht auszudenken, was sonst passierte wäre: Nachdem das Museum im Stephaniviertel 1942 schwer getroffen wurde, zerstörten Bomben es zwei Jahre später vollständig.
Kurz vor Grohnes Pensionierung eröffnete das Focke-Museum 1953 im Gut Riensberg mit einer Ausstellung zur Stilgeschichte. Fast 30 Jahre leitete der fleißige Publizist das Focke-Museum und legte ein tragfähiges Fundament, worauf seine Nachfolger und Nachfolgerinnen aufbauen konnten. Als er in Pension ging, verlieh der Bremer Senat ihm als Anerkennung den Professorentitel. Und noch ein Zeichen der Wertschätzung: Der Weg, der vor dem Eingang des Haupthauses rechts am weitläufigen Museumsgelände vorbeiführt, trägt den Namen Ernst Grohnes. Auch in der Ausstellung ist der erste Direktor des fusionierten Focke-Museums noch präsent: In der Wissenswerkstatt Archäologie im Eichenhof sind heute Urnenfunde aus Mahndorf zu sehen, ebenso im Schaumagazin unter dem Stichwort Zu Grabe tragen.