Menschen tragen Särge und lassen sie in Gräber hinab.

Die Pest

Die zersetzende Kraft der pandemie

Von Alexandra Albrecht

Als die Große Pest 1347 bis 1353 in Europa wütete, wussten die Menschen nicht, welche Ursachen die Krankheit hatte, die so vielen das Leben nahm.  Dieses Unwissen hielt noch sehr lange an, bis Ende des 19. Jahrhunderts, als das Pestbakterium endlich identifiziert wurde. Schwindelerregend schnell gelang es der Forschung dagegen jetzt, das Corona-Virus zu identifizieren und einen Impfstoff zu entwickeln. Vergleiche zwischen Geschichte und Gegenwart hinken häufig, zu unterschiedlich sind die Gegebenheiten. Und doch gibt es wenige, erstaunliche Parallelen in der Verbreitung und im Umgang mit den Krankheiten, wie Volker Reinhardt in seinem Buch „Die Macht der Seuche. Wie die Große Pest die Welt veränderte, 1347-1353“ deutlich macht.

Der Professor für Geschichte an der Universität Fribourg gehört international zu den führenden Italien-Historikern und Renaissance-Spezialisten, und so liegt sein Blick auch vor allem auf den Quellen und literarischen Zeugnissen Italiens, dem wichtigsten Ausgangspunkt der Pandemie in Europa.

Wie auch Covid-19 breitete sich die Pest zuerst im Reich der Mitte aus, ab 1338 ist sie auf den Hochebenen Zentralasiens nachweisbar. Von dort aus zog sie westwärts, an die Gestade des Schwarzen Meeres, bis sie Italien (!) erreichte, wo sie im Süden von Neapel und im Norden von Genua und Venedig ihre weitere Verbreitung fand, schon damals als Folge globalisierter Verkehrswege.

Der Tod reitet auf einem geflügelten Monster durch eine mittelalterliche Stadt.
Arnold Böcklin-Die Pest, Kunstmuseum Basel, Wikepedia gemeinfrei

Den Zeitgenossen fielen zwei Varianten auf, die häufiger vorkommende Beulenpest, die Überlebenschancen bot, und die tödliche Lungenpest. Der Gedanke, dass sich der Mensch an einem niederen Lebewesen wie dem Floh, übertragen durch die Ratte, anstecken könnte, widersprach dem theologischen Denken des 14. Jahrhunderts. Und so wurde die Ursache der Seuche in einer unheilbringenden Konstellation der Gestirne gesehen, die todbringende Luft auf die Erde schickte.

Trotzdem fiel den Menschen seinerzeit schon auf, dass die Pest sich vor allem in dicht besiedelten Quartieren ausbreitete, d.h. dort, wo die Armen eng zusammenlebten. Diese sozial bedingte ungleiche Verteilung zeigte sich auch in der Corona-Pandemie: Die Inzidenzzahlen lagen in bremischen Stadtvierteln, wo vielköpfige Familien auf engem Raum leben, deutlich höher.

Der Kontakt mit den Kranken wurde gemieden, selbst Ärzte, Priester und Juristen lehnten es meistens ab, die befallenen Häuser aufzusuchen, es sei denn, sie wurden üppig entlohnt. Keine Stadt Europas agierte so erfolgreich im Kampf gegen die Seuche wie Mailand, allerdings mit wenig zimperlichen Mitteln. Rigoros wurden die Häuser Erkrankter zugemauert, mit dem Ergebnis, dass nur drei Familien starben.  

 Ebenfalls blieb nicht unbemerkt, dass die Pest sich mit dem Transport von Gütern, also dem Handel, dem die herrschende Schicht Italiens ihren Reichtum verdankte, ausbreitete. Deshalb setzte sie vielerorts auch durch, dass die Grenzen offen blieben, koste es Menschenleben, so viel es wolle. Etwa ein Viertel der Europäer fiel der Großen Pest zum Opfer, schreibt Volker Reinhardt und weist die kursierenden höheren Zahlen zurück.      

Wobei er immer wieder auf die schwierige Quellenlage aufmerksam macht, denn damals wurden keine statistischen Zahlen erhoben, und die meist rückwirkend verfassten Berichte schmücken die Erlebnisse wohl gehörig aus.

Auch Klaus Schwarz verweist in seiner 1996 erschienenen, akribischen  Untersuchung „Die Pest in Bremen“ für ihren Verlauf 1350 auf viele Unstimmigkeiten hin und hält die Anzahl der im Bürgerbuch genannten Toten für zu hoch gegriffen. Überhaupt: Bremen besaß um 1350 keinen Arzt oder Apotheker, wer soll die Todesursache einer völlig unbekannten Krankheit festgestellt haben?    

Volker Reinhardts sehr gut lesbares Buch besticht vor allem durch sein Interesse an den sozialen und politischen Verwerfungen, die die Pest mit sich gebracht hat. Alte Geschlechter fielen ihr zum Opfer, andere, wie die Medici, entwickelten sich zur vollen Blüte. Das politische Gefüge geriet ins Wanken, das Vertrauen in die Kirche, die offensichtlich nicht helfen konnte, nahm ab. Unter den Gewinnlern machten sich Lebensgier und krasser Egoismus breit, der vor allem auf Bereicherung zielte. Für Mitgefühl oder gar Hilfe für den notleidenden Mitmenschen war kein Platz mehr, das Ich verdrängte das Wir.

Der Versuch, das Unfassbare zu erklären, kehrte manches Mal das Schlechteste im Menschen hervor. Vor allem auf deutschem Gebiet wurde den Juden die Schuld  an dem Unheil gegeben, sie hätten das Wasser vergiftet, um Christen zu töten, heißt es etwa in einer Schrift des Würzburger Kanonikers Michael de Leone. Außer Frage steht, dass mit der Vernichtung der Juden pekuniäre Interessen befriedigt werden konnten, denn so mussten die Schulden bei jüdischen Bankiers nicht mehr beglichen werden. 

Der antisemitische Reflex funktioniert auch heute wieder unter den Verschwörungstheoretikern. Welche Verwerfungen Corona noch mit sich bringen wird, bleibt abzuwarten. Wahrscheinlich ist der Wille zum Vergessen und Verdrängen heute ebenso ausgeprägt wie im 14. Jahrhundert, auch der Wunsch, einfach so weiterzumachen wie vor der Pandemie. 

Volker Reinhardt: „Die Macht der Seuche. Wie  die Große Pest die Welt veränderte. 1347 – 1353“. Verlag C.H. Beck, München 2021, 24 €   

Die oberste Abbildung zeigt eine Darstellung aus dem 14. Jahrhundert: Die Bürger von Tourmai beerdigen ihre Pesttoten. (c) Diaspora Museum Tel Aviv, gemeinfrei

Totenkopf mit Lorbeerkranz
Augsburger Pesttafel DHM Berlin, Wikipedia gemeinfrei