Stolperstein in Kleinmachnow

Neue Recherchen zur Familie Frank

Von Alexandra Albrecht

Am Dienstag, 24. September 2024, wird in Kleinmachnow in Brandenburg ein Stolperstein für Eduard Frank verlegt. Eduard Frank? Er wurde 1877 in Lilienthal als ältester Sohn des Fotografen Julius Frank sen. geboren, dessen Schicksal und das seiner Familie der Heimatverein Lilienthal und das Focke-Museum in Publikationen und Ausstellungen aufgearbeitet haben. Eduard Frank stand bislang nicht im Fokus, weil er, anders als die anderen männlichen Mitglieder der Familie Frank, kein Fotograf war.

Julius Frank sen., sein Sohn Henry und sein Enkel Julius führten in der Hauptstraße in Lilienthal erfolgreich ein Geschäft, in dem sie Fotozubehör verkauften und Porträts aufnahmen. Vor allem Henry Frank und sein Sohn Julius machten sich auch durch ihre künstlerischen Interieurs, Porträts und Landschaftsaufnahmen aus Lilienthal und Worpswede, die vielfach prämiert wurden, einen Namen. Mit dem Aufkommen der Nationalsozialisten erlitt die jüdische Familie Ausgrenzung aus der Gemeinschaft und wirtschaftliche Verluste. 1936 emigrierte Julius Frank jun. schweren Herzens nach Amerika, das Geschäft hatte er vorher unter Wert an einen nicht-jüdischen Fotografen verkauft.

Die Geschichte der Familie Frank war in Lilienthal lange verschwiegen und vergessen worden, bis Peter Richter und Harald Kühn vom Heimatverein zufällig auf sie stießen und nach eigenen Recherchen in ihrem Buch „Als die Hoffnung starb“ veröffentlichten. Die beiden spürten die Kinder von Julius Frank und dessen Witwe in den USA auf. Dann kam das Focke-Museum dazu, das in seiner Sammlung bereits über Objekte aus dem Fotostudio verfügte. Die Frank-Nachkommen besuchten Bremen und Lilienthal und beschlossen, den ganzen fotografischen Nachlass und noch viel mehr an den Heimatverein und das Focke-Museum zu übergeben. Dr. Karin Walter, Kuratorin für Fotografie am Focke-Museum, schuf daraus die Ausstellung „Julius Frank. Eine jüdische Fotografenfamilie zwischen Deutschland und Amerika“, zu der ein reich bebilderter Katalog erschien, der auch das Schicksal der Franks darstellte.

Und dann traf am 15. Mai 2024 im Focke-Museum eine Mail der Stolperstein-Gruppe aus Kleinmachnow ein, die mitteilte, einen Stein für Eduard Frank in der Straße „In der Drift 11“ verlegen zu wollen. Deren Erkundungen hatten ergeben, dass Eduard, der in Bremen Dekorateur und Kaufmann gelernt hatte, als Textilkaufmann in Stendal lebte, bevor er um 1937 nach Berlin-Zehlendorf/Kleinmachnow verzog. Aus den Akten soll hervorgehen, dass er in einem Konzentrationslager interniert war, wahrscheinlich im Zuge der Novemberpogrome 1938 einige Wochen in Buchenwald, wo er schwer misshandelt wurde. Im April 1939 habe er sich auf Anweisung der Behörden von seiner Ehefrau und den drei Kindern trennen müssen.

Zu einem Hungerlohn soll er danach in Berlin als Maler gearbeitet haben. Die Stolperstein-Gruppe vermutet, dass der Arbeitgeber ihn immer wieder als unabkömmliche Zwangsarbeitskraft bei den Behörden gemeldet hat. Später musste er wohl untertauchen, wahrscheinlich im Raum Hildesheim, wo weitere Familienmitglieder wohnten. Eduard Frank hat den Krieg überlebt, aber seine Familie, seine Existenz und seine Gesundheit waren zerstört. Er wurde von der Bundesrepublik Deutschland ebenso wenig entschädigt wie die in Amerika lebenden Franks.

Erst durch das Engagement des Heimatvereins Lilienthal und des Focke-Museums rückte das Schicksal der Familie Frank wieder in das öffentliche Bewusstsein, unterstützt von der engagierten Berichterstattung der Wümme-Zeitung. Dass nun auch noch zum Leben Eduard Franks erfolgreich recherchiert wurde, ist der Stolperstein-Gruppe Kleinmachnow zu verdanken. Auf ihre Anfrage nach einem Foto, das Eduard Frank zeigt, erinnerte sich Harald Kühn an eine Aufnahme der Franks, die in Lilienthal entstanden ist. Ein bislang nicht identifizierter Herr mit einer ebenfalls nicht bekannten Dame könnten Eduard und seine Ehefrau Hermine Sophie Frank sein, vermutet Harald Kühn. Es handelt sich um das mittlere Paar auf dem obigen Foto, das den Band „Als die Hoffnung starb“ zierte.

Am 1. Mai 1960 starb Eduard Frank. Nun wird auch seiner gedacht, in Brandenburg, Bremen und Lilienthal.           

Von Alexandra Albrecht

Als die Große Pest 1347 bis 1353 in Europa wütete, wussten die Menschen nicht, welche Ursachen die Krankheit hatte, die so vielen das Leben nahm.  Dieses Unwissen hielt noch sehr lange an, bis Ende des 19. Jahrhunderts, als das Pestbakterium endlich identifiziert wurde. Schwindelerregend schnell gelang es der Forschung dagegen jetzt, das Corona-Virus zu identifizieren und einen Impfstoff zu entwickeln. Vergleiche zwischen Geschichte und Gegenwart hinken häufig, zu unterschiedlich sind die Gegebenheiten. Und doch gibt es wenige, erstaunliche Parallelen in der Verbreitung und im Umgang mit den Krankheiten, wie Volker Reinhardt in seinem Buch „Die Macht der Seuche. Wie die Große Pest die Welt veränderte, 1347-1353“ deutlich macht.

Der Professor für Geschichte an der Universität Fribourg gehört international zu den führenden Italien-Historikern und Renaissance-Spezialisten, und so liegt sein Blick auch vor allem auf den Quellen und literarischen Zeugnissen Italiens, dem wichtigsten Ausgangspunkt der Pandemie in Europa.

Wie auch Covid-19 breitete sich die Pest zuerst im Reich der Mitte aus, ab 1338 ist sie auf den Hochebenen Zentralasiens nachweisbar. Von dort aus zog sie westwärts, an die Gestade des Schwarzen Meeres, bis sie Italien (!) erreichte, wo sie im Süden von Neapel und im Norden von Genua und Venedig ihre weitere Verbreitung fand, schon damals als Folge globalisierter Verkehrswege.

Der Tod reitet auf einem geflügelten Monster durch eine mittelalterliche Stadt.
Arnold Böcklin-Die Pest, Kunstmuseum Basel, Wikepedia gemeinfrei

Den Zeitgenossen fielen zwei Varianten auf, die häufiger vorkommende Beulenpest, die Überlebenschancen bot, und die tödliche Lungenpest. Der Gedanke, dass sich der Mensch an einem niederen Lebewesen wie dem Floh, übertragen durch die Ratte, anstecken könnte, widersprach dem theologischen Denken des 14. Jahrhunderts. Und so wurde die Ursache der Seuche in einer unheilbringenden Konstellation der Gestirne gesehen, die todbringende Luft auf die Erde schickte.

Trotzdem fiel den Menschen seinerzeit schon auf, dass die Pest sich vor allem in dicht besiedelten Quartieren ausbreitete, d.h. dort, wo die Armen eng zusammenlebten. Diese sozial bedingte ungleiche Verteilung zeigte sich auch in der Corona-Pandemie: Die Inzidenzzahlen lagen in bremischen Stadtvierteln, wo vielköpfige Familien auf engem Raum leben, deutlich höher.

Der Kontakt mit den Kranken wurde gemieden, selbst Ärzte, Priester und Juristen lehnten es meistens ab, die befallenen Häuser aufzusuchen, es sei denn, sie wurden üppig entlohnt. Keine Stadt Europas agierte so erfolgreich im Kampf gegen die Seuche wie Mailand, allerdings mit wenig zimperlichen Mitteln. Rigoros wurden die Häuser Erkrankter zugemauert, mit dem Ergebnis, dass nur drei Familien starben.  

 Ebenfalls blieb nicht unbemerkt, dass die Pest sich mit dem Transport von Gütern, also dem Handel, dem die herrschende Schicht Italiens ihren Reichtum verdankte, ausbreitete. Deshalb setzte sie vielerorts auch durch, dass die Grenzen offen blieben, koste es Menschenleben, so viel es wolle. Etwa ein Viertel der Europäer fiel der Großen Pest zum Opfer, schreibt Volker Reinhardt und weist die kursierenden höheren Zahlen zurück.      

Wobei er immer wieder auf die schwierige Quellenlage aufmerksam macht, denn damals wurden keine statistischen Zahlen erhoben, und die meist rückwirkend verfassten Berichte schmücken die Erlebnisse wohl gehörig aus.

Auch Klaus Schwarz verweist in seiner 1996 erschienenen, akribischen  Untersuchung „Die Pest in Bremen“ für ihren Verlauf 1350 auf viele Unstimmigkeiten hin und hält die Anzahl der im Bürgerbuch genannten Toten für zu hoch gegriffen. Überhaupt: Bremen besaß um 1350 keinen Arzt oder Apotheker, wer soll die Todesursache einer völlig unbekannten Krankheit festgestellt haben?    

Volker Reinhardts sehr gut lesbares Buch besticht vor allem durch sein Interesse an den sozialen und politischen Verwerfungen, die die Pest mit sich gebracht hat. Alte Geschlechter fielen ihr zum Opfer, andere, wie die Medici, entwickelten sich zur vollen Blüte. Das politische Gefüge geriet ins Wanken, das Vertrauen in die Kirche, die offensichtlich nicht helfen konnte, nahm ab. Unter den Gewinnlern machten sich Lebensgier und krasser Egoismus breit, der vor allem auf Bereicherung zielte. Für Mitgefühl oder gar Hilfe für den notleidenden Mitmenschen war kein Platz mehr, das Ich verdrängte das Wir.

Der Versuch, das Unfassbare zu erklären, kehrte manches Mal das Schlechteste im Menschen hervor. Vor allem auf deutschem Gebiet wurde den Juden die Schuld  an dem Unheil gegeben, sie hätten das Wasser vergiftet, um Christen zu töten, heißt es etwa in einer Schrift des Würzburger Kanonikers Michael de Leone. Außer Frage steht, dass mit der Vernichtung der Juden pekuniäre Interessen befriedigt werden konnten, denn so mussten die Schulden bei jüdischen Bankiers nicht mehr beglichen werden. 

Der antisemitische Reflex funktioniert auch heute wieder unter den Verschwörungstheoretikern. Welche Verwerfungen Corona noch mit sich bringen wird, bleibt abzuwarten. Wahrscheinlich ist der Wille zum Vergessen und Verdrängen heute ebenso ausgeprägt wie im 14. Jahrhundert, auch der Wunsch, einfach so weiterzumachen wie vor der Pandemie. 

Volker Reinhardt: „Die Macht der Seuche. Wie  die Große Pest die Welt veränderte. 1347 – 1353“. Verlag C.H. Beck, München 2021, 24 €   

Die oberste Abbildung zeigt eine Darstellung aus dem 14. Jahrhundert: Die Bürger von Tourmai beerdigen ihre Pesttoten. (c) Diaspora Museum Tel Aviv, gemeinfrei

Totenkopf mit Lorbeerkranz
Augsburger Pesttafel DHM Berlin, Wikipedia gemeinfrei