Buchtipp

Wie Franci Rabinek Epstein Auschwitz überlebte

Von Alexandra Albrecht

Als Franci Rabinek dem berüchtigten Lagerarzt von Auschwitz, Josef Mengele, nackt gegenübersteht, behält sie einen kühlen Kopf und gibt sich als Elektrikerin aus. Zwar hatte ihr Vater, ein Ingenieur, ihr gewisse handwerkliche Fertigkeiten vermittelt, eine gelernte Elektrikerin ist sie aber nicht. Vielmehr führte sie in Prag erfolgreich einen Modesalon, bis die Nationalsozialisten die Tschechoslowakei besetzen und die Arisierung der jüdischen Geschäfte anordneten. Doch diese kleine Lüge rettete ihr das Leben: Sie wurde nicht ins Gas geschickt, sondern zur Zwangsarbeit eingesetzt.

Jahrzehnte später, als sie schon lange in den USA lebt, schreibt Franci Rabinek Epstein (1920-1989) ihre Geschichte auf, doch niemand will sie drucken. Es sollte noch Jahre dauern, bis der amerikanische Verlag Penguin 1989, ihrem Todesjahr, den Text veröffentlicht. Vor Kurzem brachte der Hamburger Verlag Dölling und Galitz ihn unter dem Titel „Die Elektrikerin. Mein Überlebensweg als tschechische Jüdin“ heraus.   

Jetzt, wo bald keine Zeitzeugen des Holocausts mehr leben werden, ist es umso wichtiger, ihre Lebensgeschichten zu bewahren und öffentlich zugänglich zu machen. Anlässlich der aktuellen Ausstellungen im Focke-Museum zu der jüdischen Fotografen-Familie Frank, zu den Arbeiten des Fotokünstlers Olaf Schlote, der sich mit den Orten des Holocausts und den Überlebenden beschäftigt, und zur Zwangsarbeit in Bremen von 1939 bis 1945 stellen wir dieses Buch vor.

        

Eine junge Frau, elegant gekleidet, zeichnet mit einem Stift auf ein Blatt Papier. Es handelt sich um Franci Rabinek, die 1936 als Modedesignerin in Prag arbeitete.
Franci Rabinek 1936 als Modezeichnerin in Prag. (c) Courtesy Helen Epstein

Franci Rabinks Eltern entstammten jüdischen Familien in Wien. Ihr Vater gehörte einer Familie österreichischer Beamter an und glaubte an die Assimilation. Er trat zum katholischen Glauben über. Die Gründung der tschechoslowakischen Republik verstand er als sozialdemokratisches Experiment, dem er wohlgesonnen gegenüberstand. Deshalb nahm er ihre  Staatsbürgerschaft an, verstand sich aber als tschechischer Staatsbürger deutscher Nationalität. Warnungen vor den Nationalsozialisten tat er als Propaganda ab, außerdem fühlte er sich in der Tschechoslowakei sicher vor ihnen.

Seiner Tochter Franci ermöglicht er ein begütertes Dasein, erst hilft sie der Mutter im Modesalon, dann übernimmt sie ihn. Sie spricht Deutsch, Tschechisch, Französisch und Englisch, reist und tanzt gerne und führt ein unbeschwertes, heiteres Leben. Bis die Deutschen 1939 in die Tschechoslowakei einmarschieren und das Land besetzen.

Das Unternehmen des Vaters, der Modesalon, die große Wohnung, das schöne Leben – vorbei. Um nicht aufzufallen, zieht Franci mit ihrem Mann Joe und ihren Eltern in eine kleine Wohnung am Stadtrand. 1942 werden die Eltern nach Theresienstadt gebracht; Franci geht freiwillig mit ins Ghetto, um sie zu beschützen. Vergebens, die Eltern werden nach Belarus deportiert und dort erschossen. Franci und ihr Ehemann können vorerst, wenn auch getrennt, in Theresienstadt bleiben.

Lakonisch schildert Franci Rabinek Epstein den Alltag in Theresienstadt, die schlechte Verpflegung, die furchtbaren hygienischen Bedingungen, Krankheiten, die langen Arbeitstage als Schneiderin, die fehlende Privatsphäre. Nur die Freundschaft zwischen den inhaftierten Frauen sorgt für etwas Linderung, wenn auch unter den Inhaftierten sich nicht alle solidarisch verhalten. Aber es sollte noch schlimmer kommen: Im Dezember 1943 wird Franci nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Hier haben die Jüdinnen und Juden nicht nur unter den Deutschen zu leiden, sondern auch unter den polnischen Mitgefangenen, unter denen sich fanatische Antisemiten befinden.

In Auschwitz wird Franci zur Nummer: A-4116 wird auf ihren Unterarm tätowiert. Die Autorin ändert nun die Perspektive, sie schreibt nicht mehr in der Ich-Form sondern als Erzählerin über A-4116. Diese Distanzierung und der zeitliche Abstand, mit dem der Text geschrieben wurde, machen den besonderen, lakonischen Ton des Buches aus. Franci Rabinek Epstein schaut zurück, erinnert die Bombennächte in Hamburg, wohin sie von Auschwitz verlegt wurde, um als Zwangsarbeiterin bei der Trümmerräumung zu helfen, sie erinnert sich an Bergen-Belsen, das von den Briten befreit wurde. Ihr Augenmerk gilt immer auch den menschlichen Stärken und Schwächen, bei den Tätern wie den Opfern. Diebstahl, Tauschhandel, auch sexueller Art, Missbrauch und Verrat, nichts bleibt unerwähnt.   

Ihre Pflicht sei es zu überleben, hatte ihre Mutter ihr gesagt. Die hatte sie erfüllt. Doch die Eltern und der Ehemann sind tot. Franci lernt einen neuen Mann kennen, Kurt Epstein, mit dem sie aus Sorge vor einer roten Diktatur in die USA auswandert und drei Kinder haben wird. Sie bringt die Familie mit ihrer Mode durch, ihr Mann kommt über Gelegenheitsarbeiten nicht hinaus.  

Welch eine Leistung, welch ein Kraftakt, mit dieser Geschichte weiterzuleben, Kinder zur Welt zu bringen, zu versuchen, ein normales Leben zu führen. In ihrem Nachwort schreibt die Tochter Helen Epstein, dass die Mutter nach einem Nervenzusammenbruch lange in psychoanalytischer Behandlung war. Helen Epstein machte sich mit ihren Arbeiten zu den Kindern der Holocaust-Überlebenden einen Namen. Sie war es auch, die sich für die Veröffentlichung des Textes ihrer Mutter einsetzte.   

Das Buch „Die Elektrikerin. Mein Überlebensweg als tschechische Jüdin 1939 bis 1945“ ist im Dölling und Galitz Verlag erschienen und kostet 28 Euro. Es ist im Shop des Focke-Museums und im Buchhandel erhältlich.

Das Foto oben zeigt das ehemalige Lagerhaus G am Dessauer Ufer in Hamburg. Es diente als Außenlager des KZ Neuengamme.

(c) Dorfmüller Klier 2022

Zwei junge Frauen sitzen im Sommer auf einer Wiese. Auf dem Foto steht handschriftlich: Liberation 1945
Endlich frei: Franci Rabinek (links) und ihre Cousine Kitty im Juli 1945 in Celle. (c) Courtesy Helen Epstein