ERfahrungen eines Bremer juden nach 1945

Die VErgangenheit ist nicht vergangen

Von Alexandra Albrecht

„Hör endlich auf, über die Vergangenheit zu sprechen!“ Ja, das hätten die Stützen des nationalsozialistischen Unrechtsregimes sicher gerne gehabt, dass ihre Verbrechen nach dem Zusammenbruch des „Dritten Reiches“ einfach vergessen werden. Die oben zitierte Drohung entstammt einem anonymen Brief an den jüdischen Kaufmann Carl Katz, der nach Kriegsende wieder nach Bremen zurückgekehrt war. Katz wusste einfach zu viel: Nachdem die Nazis 1938 sein Unternehmen arisiert hatten, engagierte er sich in der jüdischen Gemeinde seiner Heimatstadt. Als Leiter des Bremer Büros der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland soll er sich vorbildlich um seine jüdischen Mitbürger gekümmert haben. In dieser Funktion bekam er mit, welcher Gestapo-Mann sich von Juden bestechen ließ, welche Frau sich von ihrem jüdischen Ehemann trennte, um dessen Besitzes habhaft zu werden.  

Nachdem er mit seiner Frau und Tochter das Lager in Theresienstadt überlebt hatte, war Carl Katz also zurück in Bremen, wo er schon 1945 wieder zum Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde gewählt wurde. Katz erhielt nicht nur Drohbriefe, in seinem Haus wurden die Fensterscheiben eingeworfen, sein Hund wurde vergiftet, sein Firmengebäude angezündet. Als das alles nicht half und er standhaft blieb und Alt-Nazis nicht entlastete, beschädigte man seinen Ruf, beschuldigte ihn der Kollaboration mit den Nazis, klagte ihn wegen des Verbrechens geben die Menschlichkeit an, weil er an den Deportationen von Juden mitgewirkt haben soll.

Elise Garibaldi, Autorin der Romanbiographie über Carl Katz.

Mit diesen Vorwürfen sehen sich die Nachkommen von Carl Katz bis heute konfrontiert. Deshalb hat seine Urenkelin Elise Garibaldi die Geschichte ihres Urgroßvaters selber recherchiert und als Romanbiographie aufgeschrieben: „Niemals genug. Die Geschichte von Carl Katz“. Das Unrecht, dass den Juden in Deutschland widerfuhr, endete nicht mit dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus, sie wurden zum Teil Opfer einer Justiz, die wie so viele andere Bereiche des öffentlichen Lebens auch von einer personellen Kontinuität vom „Dritten Reich“ in die Bundesrepublik geprägt war. Hier sollte nun aus dem Opfer ein Täter gemacht werden. Katz sah sich u.a. mit dem Vorwurf konfrontiert, er habe bestimmt, wer ins Konzentrationslager kam, die Gestapo habe nur seine Anweisungen ausgeführt.  

Der Antisemitismus in der Bevölkerung war mit dem Kriegsende nicht überwunden, wie es ihn ja auch schon vor dem Nationalsozialismus gegeben hatte. Dass Carl Katz nach dem Krieg wirtschaftlich schnell wieder prosperierte, ein Haus in Schwachhausen bezog und ein teures, elegantes Auto fuhr, mag Hass und Neid befördert haben und entsprach dem Klischee des reichen Juden.  Auf dieser Grundlage blieb immer wieder etwas von den Verleumdungen hängen, die über ihn verbreitet wurden. Aber Deutschland und Bremen zu verlassen, das kam für ihn nicht in Frage. Vielmehr engagierte er sich für den Wiederaufbau des jüdischen Lebens in seiner Heimatstadt und unterstützte den Bau der Synagoge in der Schwachhauser Heerstraße mit eigenen Mitteln. Seine Tochter schickte er allerdings mit ihrem Mann und der kleinen Tochter nach Amerika, er hielt Deutschland für zu gefährlich.

Am Dienstag, 9. Mai 2023, 18.30 Uhr, stellt Elise Garibaldi ihr in der Edition Falkenberg erschienenes Buch „Niemals genug. Die Geschichte von Carl Katz“ im Focke-Museum vor. Schauspieler der bremer shakespeare company lesen Auszüge. Es spricht Altbürgermeister Dr. Henning Scherf, der Carl Katz noch kannte. Im Anschluss können die Teilnehmer Objekte sehen, die die Familie Katz aus dem Konzentrationslager Theresienstadt mit zurückgebracht hat.

Wer noch mehr über Carl Katz erfahren möchte, sei auf den Beitrag von Dr. Frank Mecklenburg, Archivar des Leo-Baeck-Instituts in New York, verwiesen, der im Bremischen Jahrbuch, Band 101, 2022, erschienen ist: „Carl Katz (1899–1972) – Zu Biographie und Nachleben im Licht neuer Betrachtungen“.  

„Hör endlich auf, über die Vergangenheit zu sprechen!“ – Auf keinen Fall, denn das Vergangene ist nicht vergangen.